Heft 
(1894) 81
Seite
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Briefe von Ernst Moritz Arndt aus dem Frankfurter Parlament. 1ZZ

dessen bin ich gewiß wie meines Lebens; wie man endlich ein Gesetz finden soll, welches das Bürgerleben und seinen Noth- und Angelnagel, die Ehe, nach der Weise und Ordnung älterer heidnischer wie christlicher Völker richtet und einrichtet daran muß gedacht werden, aber ich weiß seine Formel noch nicht. Wir wollen hoffen. Denn das Weltschicksal und das Glück und Unglück unserer Kinder und Enkel hängt daran, und nach der Art und den Grundsätzen, die der Tag und Rüge und Robert Blum und Kinkel den Armen und Mühseligen predigen, würde die Herrlichkeit Europa's mit all' ihrer Bildung, Kunst und Wissenschaft zuletzt unter den wilden Fäusten der Proletarier vergehen müssen. Wir haben Paris und sein jüngstes Beispiel. Die haben das Gehirn der blinden Narren wohl etwas ab­gekühlt; aber die Herzen der bösen Narren- wir haben hier auch einige weigern sich jeder Abkühlung. Indessen die Jahrzehnte rollen geschwind, und auch wir Deutsche werden nicht Zeit haben, uns über kleine und gar über kleinliche Ablehren zu bedenken. Aristoteles und Plato waren da tausendmal vernünftiger als diese Thoren, die aber auch zum Theil den Glauben an ein Jenseits für eine Narrheit erklären. Da liegt aber ganz eigentlich der Hund der Zeit begraben. Also Eure extremismmi mit Plautus zu reden haben gleichsam den Oberspieß ge­wonnen? So sieht es einstweilen äußerlich noch an vielen Orten aus, wenn es auch innerlich, in den Herzen, so schlimm noch nicht ist. Es ist mit den Guten und Bösen gleichsam ein Verhältnis) wie mit den Fliegen und Bienen. Die Biene fliegt in einer Richtung, hält sich länger an einer Stelle, aus Blumen und Kräutern Honig sammelnd, aus, und fliegt daraus in einer, oft in derselben Richtung, still wieder heim; die Fliege dagegen in derselben Zeit fliegt an zehn und zwanzig Ohren und Nasen, an zehn und zwanzig Milch- oder Kothtröpschen hin und her. Daher geschieht, daß, wenn auch der Bienen die dreimal größere Zahl in Bewegung ist, der Fliegen immer viel mehr zu sein scheinen. Das ist es: ein unruhiger, wilder Kerl versteht sich zu verhundertfachen, wo der stätige, fittige Mann sich kaum verzehnfacht. Bis jetzt machen die bösen Schwerenöther wirklich viel mehr Lärm und Geschwirr, als sie Stoff zur That haben; aber wenn die Guten und Verständigen es in bequemer und hoffnungsvoller Weise so sortlausen lassen, so wird Jenen der Stoff endlich in die Hand wachsen.

Doch ich muß nmlenken. Närrisch, daß ich bei der heutigen Hitze und bei allem Dampf des Hauses ordentlich zu zum Theil wunderlichen Betrachtungen aus­gereizt bin und Dir eigentlich nichts erzählt habe.

Nun sollst Du wissen, daß Dahlmanns und mein Töchterchen wohl sind, daß ich weder Hollweg noch Mendelssohn leider nicht gesehen habe, und daß der Mensch, zu welchem ich hier ein besonderes Herz hätte fassen können, daß Paul Pfizer H schon vor Wochen nach Stuttgart zurückgekehrt ist, um dort wahrscheinlich bald an einer malaoosw esredri zu sterben.

Ade! Tausend Grüße an die lieben Deinen und an alle Freunde.

Dein E. M. A.

IV.

Frankfurt, den 13. Weinmonds 1848.

Im Getöse der Unvernunft und Thierheit, die uns hier und im ganzen lieben Vaterlande ringsum und ringsher umbraust, setze ich mich zuweilen einsam hin, den alten Kopf bald zur Erde senkend, bald zu den Sternen hebend, und suche ein paar Worte mit meinem bischen Vernunft zu sprechen; nun aber will ich's einmal klüger machen und mit der selbstesten Philosophie und Metaphysik mich ein wenig vertrösten, mit deiner Philosophie, Getreuester, mit der Philosophie der Liebe. Am Ende ist es nur ein Wort der Liebe, was ich möchte sprechen können, was ich

st Hervorragender Führer der Württemberger Liberalen, Publieist und Staatsmann, kurze Zeit (1848) Cultusminister; s- 1867.