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Deutsche Rundschau.
Staatsschuldpapieren belastet hat; ein Verhaltniß, wovon meine Ohren fast in jeder Gesellschaft zu leiden haben. — Und auch ich östreichere mitunter sehr: es ist wirtlich in den Leuten südöstlich der Donau eine hübsche gerade und offene Gemüthlichkeit und mehr Talent und Gewandtheit des Geistes und seiner Rede, als man in unserem lieben Norddeutschland ihnen zuzutrauen pflegt. — Unsere Gradheit, wo und wann wir grad sind, ist eine ganz andere, eine sächsische, friesische, in das Skandinavische überspielende.
Und meine Preußen? Sie gewinnen hier von Tage zu Tage mehr Land, seitdem sie in größerer Zahl hier eingerückt sind. Sie tragen aus Stirn und in Gebärde ein festeres stolzeres Kriegsmannsgesühl — ein Bewußtsein, was alter Ruhm und größere Macht gibt — auch siegt die fast alle anderen Reichstruppen überragende größere Bildung endlich über vorgefaßte oder tückisch eingeflößte Meinung. Z. B.: Gestern Abend kam zu einem von mir auch angesessenen Thee- tisch das Fräulein des Hauses herunter und erzählte: „Eben schalt ich die Magd,
daß sie was versäumt, habe wohl wieder nach den Soldaten aus dem Fenster
gelugt, und sie antwortete: „Was? aus die Hessen und Bayern sollte ich hinabgucken? ja wenn's hübsche Preußen wären." Unter dem Fenster nämlich bewegten sich die ersteren, um das Goethedenkmal in hölzernen Ställen und Kasernen quartirt.
Und noch wieder die Preußen, und der Groß Preuße, der König? Auch in der Art dieses unseres Herrn, der so viele treffliche königliche Eigenschaften hat —
wie viel liegt uns da im Wege? Ach! er macht seinen Freunden schwere Arbeit
und Roth und Hilst das Ziel, welchem man sich möglicher Weise mehr zu nähern
hofft, wieder weiter Hinausrücken oder wirst es uns ganz um. Es ist darin, in
mancher seiner geistreichen Verkehrtheiten, etwas Verhängnißvolles, endlich ein deutsches Verhängniß, das wir, wenn es unvermeidlich ist, durch uud mit Gott werden durchtragen müssen. Er und Ferdinand von Oestreich. Wohin weist
dergleichen, wenn man die alten vergilbten Blätter der Mittelaltersgeschichte dnrch- blättert? Johann ohne Land und Hemrich III., des großen Ersten Eduard Vater, (einer der in England Längstregierenden) ein schwacher, ja schwächster Fürst, ver- anlaßten und halsen durch ihre Verkehrtheit und Schwäche die NaZnn Gbarta
libert. stiften und gründen. Darf ich mir das Unsrige zum Glücke deuten? O ich möchte es! aber kaum darf ich's.
Also Trauer im Hause? Grüße und küsse Deine liebe Caroline und bezeuge ihr meine innige Theilnahme. Man muß bei vielem traurigen und beweinens- werthen doch Zeit behalten, im Hause zu weinen.
Unser armer guter Reichsverweser jammert mich oft. Wie muß sein Herz Habsburg und Wien empfinden! Ich würde die letzten Wochen mich 'mal zu ihm hingemacht haben, aber ich muß das meiden, weil ich nicht lügen darf und ihm nichts vorlügen möchte: denn ich muß die östreichischen Dinge aus einein ganz anderen Gesichtspunkte ansehen als ein Erzherzog von Oestreich H.
Hollweg's Schristchen^) ist, wie Alles, was der Brave schreibt, kurz, klar, hübsch und hat und giebt Winke, mit welchen jeder bis zu seinem Punkt hin ein Stück Wegs in Belehrung und Erlustigung mitlausen kann. Bei solchen Schriften hat ja jeder seinen besonderen Standpunkt, von welchem er ausläust. Mache ich es anders? und stehe ich aus meinem Standpunkte nicht meistens zu hartnäckigt und fast unverrücklich fest? — Bunsen^) hat bei allem Praktischen des Blicks doch
Bezieht sich auf den durch Wiudischgrätz (31. Oetober) niedergeschlagenen Aufstand Wiens, in Folge dessen auch Robert Blum (9. November) standrechtlich erschossen ward.
2) Bcthmann-Hollweg's Schrift führt den Titel: „Reaction oder Sonderthümlerei. Sermon an die konservativen. Geschrieben zu Marienbad in Böhmen, den 1. September 1848".
b) Gemeint ist Bunsen's Schrift: „Vorschlag für die unverzügliche Bildung einer vollständigen Reichsversassung während der Verwcserschaft, zur Hebung der inneren Anstände und zur kräftigen Darstellung des Einen Deutschlands dem Auslande gegenüber", datirt vom September 1848.