Heft 
(1894) 81
Seite
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Briefe von Ernst Moritz Arndt aus dem Frankfurter Parlament.

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auch feine Lust, mitunter zu phantasiren, kennt die einzelnen Stimmungen zu wenig, beachtet für Deutschland das kleine noch bestehende, aber nicht mehr stehende Einzelne in seinen Vorschlägen und Berechnungen' zu sehr. Ade! Geist und Papier lausen aus. Tausend Grüße.

Dein alter E. M. A.

VI.

Frankfurt, 19. des Windmonds 1848.

Zeit und Ruhe zu einem Briese wollen sich nicht finden," schreibst Du, Ge­liebter. Zeit und Ruhe hätte ich eben Wohl leidlich, aber leider haben wir einander wenig oder fast nichts zu erzählen: denn leider weiß der Eine, was der Andere weiß, nämlich wir wissen beide nicht, wie ans diesem scheußlichen Berliner Gewirr irgend noch knotenlose Fäden anfgeräwwelt werden können.

Du hast mir ein verständiges und tröstliches Blättchen geschickt: Ich lege Dir dafür ein xmroll bei. Die Reichsgewalt hier wird thun, was sie kann, aber was kann sie? Es sind wieder zwei sehr verständige und begabte Männer H nach Berlin geschickt; aber werden und können sie etwas ansrichten? ist überhaupt eine Ver­mittelung möglich, wo offenbarer Wahnsinn mit allen Köpfen und Herzen durchgeht? und muß nach dem grauenvollen Naturgesetze dieser Wahnsinn, damit er wieder zur Ernüchterung kommen könne, nicht seine Zeit znm Anstoben Haben? Denn wirklich, unglaublich scheint es, daß viele Leute, welchen man sonst beide, Verstand und Gewissenhaftigkeit, zugetraut hat, sich von dem Strome, der sie am Ende mit verschlingen wird, mit forttreiben lassen. Wenn man nun an Berlin und an die sogenannte Preußentreue (die Franzosen und Polacken mit sich spielen läßt) denkt, sollte man nicht am eigenen Verstände irre werden? Kurz, hier, wenn es zu einer Vermittelung und Versöhnung noch kommen kann, wird es nur wieder auf Kosten der Krone sein, und immer mehr wird es den Hetzern und Wühlern gelingen, das Gift ihrer verwüstenden Lehren immer tiefer bis in die untersten Volksschichten hinabsickern zu lassen.

Den Rothen scheint Alles günstig zu sein. Dahin gehört auch die Windisch- grätzische Dummheit, deu Blum zu erschießen. Hätte man ihn standrechtlich zum Strick oder zur Kugel verurtheilt und ihn dann (eben weil er Reichstagsmitglied war) im Gefängniß behalten, hier in Frankfurt wegen seines Geschicks angefragt, wär' er auch endlich losgelassen worden so hätte er eine Art Klacks angehängt bekommen und seine Partei mit ihm. Nun ist ein Volksheiliger und Märtyrer aus ihm geworden und eine Zorn- und Racheflamme, die von seinen Leuten zum Weiterzünden gebraucht wird.

Amalie Niebnhr-Franke habe ich hier schon gesehen. Sie kommt mir frisch und heiter vor, sagt, sie sei glücklich, was ich glaube. Auf jeden Fall hat sie einen gescheitsten, entschlossenen und stattlichen Mann. Wahrscheinlich kennst Du Frankes.

Ade! ade! Die Sonne scheint hell durch's Fenster und der alte ehrwürdige Domthurm, von ihren Strahlen beleuchtet, steht unverrückt vor mir: Wir wollen so viel wir können unverrücklich hoffen und beten. Grüße Deine Lieben.

Dein E. M. A.

1) Eduard Simfon und v. Hergenhan aus Nassau waren Mitte November nach Berlin gereist, um eine Vermittelung zwischen der Krone, welche die preußische Nationalversammlung nach Brandenburg verlegt und den Grafen Brandenburg an die Spitze der Regierung berufen hatte, und der Nationalversammlung, welche zum größten Theile trotz ihrer Vertagung und Ver­legung in Berlin verblieb und Steuerverweigerung beschloß, zu versuchen. Vorher war schon Bassermaun in derselben Absicht aus Frankfurt nach Berlin gekommen. Aber die vom deutschen Parlament versuchte Vermittelung führte nicht zu dem erhofften und gewünschten Resultat.

2) Carl Philipp Franke, damals Regierungspräsident von Schleswig und Mitglied des Frankfurter Parlaments.