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Deutsche Rundschau.
treten"; und die Wahrheit leide keinen Eintrag dadurch, daß bei dieser Umbildung der künstlerischen Form absichtlich in Nebendingen die Naturtreue fallen gelassen wird, „wenn dasür eine Erhöhung der Schönheit oder des Ausdrucks in wichtigeren Momenten erreicht werden kann." Die gesperrte Schrift ist von uns; denn wir denken, daß mit diesen Sätzen, die das Verhältniß des großen Naturforschers zu der brennendsten Frage der modernen Kunst und Literatur bezeichnen, auch das Fundament unseres eigenen ästhetischen Glaubensbekenntnisses aufs Neue gesichert wird.
Die Liebe zur Kunst, besonders zur Musik, war charakteristisch für Helmholtz; ihn in den Concerten zu sehen, wenn die Classiker, unter Joachim's Leitung, classisch aufgeführt wurden, war erhebend. Doch beschränkte sich auf diese nicht seine Schätzung. Als wir einmal von Hanslick sprachen, der in seinen, damals in der „Deutschen Rundschau" veröffentlichten Lebenserinnerungen erwähnt, wie sehr ein anerkennendes Wort von Helmholtz über sein Buch „Vom Musikalisch-Schönen" ihn erfreut habe, meinte dieser lächelnd: „Und doch weichen wir in einem Punkte sehr von einander ab: in unserer Ansicht über Wagner." Daß er indessen auch hier einen Unterschied zu machen wußte, geht aus einer Bemerkung bei Gelegenheit von Goethe's Farbenlehre hervor: „Richard Wagner hörte ich selbst einmal äußern, daß er seine Verse viel höher schätze als seine Musik."
Ein Mann strenger Wissenschaftlichkeit und mit seiner äußeren imposanten Erscheinung schon jeder Annäherung gewisse Grenzen anweisend, war Helmholtz doch innerlich eine gütige, warme Natur, wenn dies Fernerstehenden auch nicht oft fühlbar werden mochte. Doch gab es Anlässe, wo das Herz dieser starken, verschlossenen Persönlichkeit selbst vor einer ganzen Versammlung laut reden konnte. So war der Abend des 2. November 1891, als die Nachfeier von Helmholtz' siebzigstem Geburtstag, und so der Abend des 12. Februar 1893, als in nicht minder solenner Weise das fünfzigjährige Doctorjubiläum von Helmholtz' Jugendfreund und Studiengenossen, E. du Bois-Reymond, begangen ward. Selten Wohl hat man, selbst in Berlin, eine solch' erlauchte Schar ausgezeichneter Männer gesehen, als an diesem Abend, wo die weißen Häupter unserer akademischen Größen rings um die Ehrentafel glänzten, jeder von ihnen der Ruhm und die Spitze seiner Wissenschaft, fast Alle mit dem Orden pour Io msrits geschmückt, und die meisten mit zahlreichen Sternen und Bändern außerdem. Als Helmholtz sich erhob, um zu reden — seine kraftvolle Gestalt fest ausgerichtet, sein mächtiger Kopf mit der hohen und breiten Denkerstirn, den- hellen, blauen Augen und den scheinbar unbeweglichen Zügen des auch im Greifen- alter noch männlich edlen Gesichtes Alles überragend — da hatte man zuerst jenes Gefühl der Befangenheit, wie wenn ein Herrscher dastände. Seine Worte kamen Anfangs leise und unsicher; doch mehr und mehr erwärmten sie sich, indem er, von den Erinnerungen an den gemeinsamen Lehrer Johannes Müller ausgehend, der Zeit gedachte, da der jugendliche du Bois-Reymond in einem Hinterzimmer der Mauerstraße mit Fröschen und Fischen die ersten Versuche anstellte, die demnächst zu seiner epochemachenden Entdeckung der thierischen Elektricität führten: dies Alles trug Helmholtz in einer so liebenswürdigen Weise vor, mit einem solchen Ausdruck von Bescheidenheit, wo der eigenen Thätigkeit Erwähnung geschehen mußte, und einer solchen Aufrichtigkeit und Freude der Anerkennung, wo die großen Leistungen des Freundes geschildert wurden, daß die menschlich schöne Empfindung, die den Redner durchdrang, sich auch den Zuhörern mittheilte und ihnen unvergeßlich bleiben wird.
Ein Freund belebter Geselligkeit und selber, mit seiner geistvollen Gemahlin, Mittelpunkt eines der gewähltesten Kreise der Berliner Gesellschaft, machte Helmholtz doch immer und überall, wenn er erschien, den Eindruck persönlicher Ueberlegenheit. Man mußte gleichsam erst die Scheu vor dem großen Gelehrten überwinden, bevor man den guten und freundlichen Menschen in ihm erkannte. Dann aber wird man kein Gespräch mit ihm geführt haben, von welchem man nicht ein bedeutendes An-