Heft 
(1894) 81
Seite
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Wirthschafts- und finanzpolitische Rundschau.

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Anfänge einer wirklichen Aenderung vorliegen oder jenes Bedürsniß nach Ab­wechselung, welches aus der lange andauernden Trägheit allein den Schluß zieht, daß nun doch endlich eine Zeit lebhafter Bewegung kommen müsse.

Ein großes Ereigniß erleben wir gegenwärtig allerdings in der Weltpolitik, größer als man es gemeinhin zu bewerthen Pflegt. Was sich gegenwärtig in Korea abspielt, hat eine weit über die streitenden Theile hinausreichende Be­deutung. Die Mächte, welche während des japanisch-chinesischen Conflictes sich Neutralität auserlegt haben, um je nach dem Ausgange hier oder da zuzugreifen, werden bald in die Lage kommen, ihre vitalsten Interessen hier und gerade hier zu suchen. Man muß sich diese scheinbar so fern liegenden hinterasiatischen Ver­hältnisse an dem Gang der Entwickelung klar machen, in welcher sie allmälig für uns Bedeutung gewonnen haben. Die großen Gegensätze der heutigen Handels­politik sind die letzten Verknotungen an einem Faden, der historisch rückwärts reicht bis in die Zeit, wo der in Ost-Rom übrig gebliebene römische Handel in einer- geradezu erdrückenden Monopolstellung sich dem übrigen Europa gegenüber befand. Alle Prodncte des Orients hatte in der ersten Hälfte des Mittelalters der west­europäische Kaufmann aus Constantinopel zu holen, wo die ganze Handels- Verfassung daraus abzielte, den Westeuropäer von den Bezugsquellen in Asien fern zu halten. Daher ist die Tendenz der aufstrebenden Mächte des Westens, der Nor­mannen, der Franzosen, sowie der italienischen Städte daraus gerichtet, irgendwelche asiatische Häsen zu erhalten, um so zu den Bezugsquellen des griechischen Kauf­manns in directe Verbindung zu treten. Die gewaltige Bewegung, in welcher die Abendländer im Lause des 12. und 13. Jahrhunderts dieses Ziel erreichten, ist,in der Weltgeschichte unter dem Namen der Kreuzzüge bekannt: in Sidon, in Tyrus, in Jaffa bildeten sich genuesische Handelsgemeinden. Jetzt kaufte man auf asiatischen: Boden ein. Aber nur die vorderasiatischen Erzeugnisse waren direct zugänglich. Was aus Hinterasien kam, hatte man nur durch die Vermittlung der persischen und sonstigen innerasiatischen Märkte, welche sich wiederum zwischen Käufer und Verkäufer als nothwendige Zwischeninstanz drängten. Daher setzen sich die Handelsersolge des Zeitalters der Kreuzzüge in einem weiteren Drängen nach Osten fort. Man suchte ans dem Markte in Bagdad einzukaufen, wohin

indische und chinesische Kamleute kamen. Der Venetianer Marco Polo ist immer weiter nach Osten, bis nach China und Indien selbst vorgedrungen. Dieser

einzig dastehende wohlgelungene Versuch hat dann die europäische Handelswelt nicht ruhen lassen. Da mit der Consolidirnng der Türkenmacht sich eine neue Wand zwischen Orient und Occident schob, so faßte man im Abendlande den kühnen Plan, die hinterasiatischen Märkte zu Wasser aufzusuchen. Die Entdeckung desSeeweges uach Ostindien" führte die Europäer definitiv an die User des indischen und Stillen Oceans. So sind zuerst die Portugiesen und Holländer, dann die Engländer aus Piesen Schauplatz gekommen, während gleichzeitig die westlichen Entdeckungen ein Neu- England ans amerikanischem Boden schufen, welches sich über den ganzen Continent verbreitete und von der anderen Seite schließlich ebenfalls an den Stillen Ocean gelangte. Parellel dieser an stolzen Erfolgen so reichen Handelsgeschichte geht eine andere Entwicklung, ruhig und unscheinbar demselben Ziele zustrebend. Tastend und schiebend gelangte der russische Kaufmann in den letzten Jahrhunderten über den Ural nach Sibirien und in Sibirien immer weiter ostwärts, bis auch er hier­um Stillen Ocean hinterasiatische Häsen gewann. Den direkten Zugang zu den hinterusiatischen Märkten sichert sich Rußland gerade jetzt durch das gewaltige Unternehmen der sibirischen Eisenbahn, welche den Weg, der über Suez zehn Wochen dauert, aus ebenso viel Tage herabsetzen wird. So ist es also eine Jahr­hunderte lange Entwicklung gewesen, in welcher die verschiedensten europäischen Völker sich um dasReich der Mitte" herumgezogen haben, um ihm endlich direct gegenüber zu stehen. Wenn man heute noch von der Bedeutung Constantinopels spricht, so ist dies nur der letzte (allerdings immer noch große) Ueberrest seiner