Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

Nutzen zu ziehen hoffte. Gerade damals wurde er tragisch schuldig; mit dem Zu­sammenbruche des Boulangismus erlitt der Orlaanismus eine entscheidende Nieder­lage. Der am 6. Februar 1869 zu Twickenham geborene ältere Sohn des Grasen von Paris, Ludwig Philipp Robert, Herzog von Orleans, wird als Rechtsnachsolgev seines Vaters schwerlich an der Lage der Dinge etwas ändern; vielmehr darf ohne Weiteres angenommen werden, daß sich an das Hinscheiden des orläanistischen Prätendenten politische Conseqnenzen nicht knüpfen werden. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die französische Republik für absehbare Zukunft durchaus befestigt ist. Die Sicherheit, mit der sich nach der Ermordung Carnot's der Wechsel der höchsten Exekutivgewalt vollzog, war ein deutliches Symptom für die in Frankreich herrschende republikanische Strömung, und dies konnte von allen Freunden deK Friedens nur mit Genugthuung begrüßt werden, während sowohl die Wieder­herstellung des orleanistischen Königthums als auch diejenige des bonapartistischen Kaiserthums eine ernsthafte Gefahr für die innere Entwickelung Frankreichs und den Weltfrieden bedeuten würde.

Kann das Hinscheiden des Grafen von Paris nicht als ein Ereigniß von politischer Tragweite angesehen werden, so genügte bereits das vor einiger Zeit verbreitete falsche Gerücht von dem Tode des italienischen Conseilpräsidenten Crispi, um Beunruhigung hinsichtlich der weiteren Gestaltung der italienischen Verhältnisse hervorzurusen. Tatsächlich erfreute der leitende italienische Staatsmann sich der besten Gesundheit, als das Gerücht von seinem Hinscheiden lediglich zu unlauteren Börsenzwecken erfunden und verbreitet wurde. In diesen Tagen nun tauchte in einem englischen Blatte, demBritish Medical Journal", die Mittheilung auf, daß Crispi am Staar leide und sich demnächst einer Operation unterziehen müsse. Aber auch diese Lüge hatte kurze Beine; dem englischen Blatte hätte ine Hinblick auf seine Beziehungen zur medicinischen Wissenschaft Wohl von Anfang an klar sein müssen, daß der italienische Conseilpräsident, der sich unlängst noch einer vor­trefflichen Gesundheit erfreute, nicht plötzlich von einer Augenkrankheit ergriffen sein konnte, deren Entwickelung geraume Zeit erfordert, ehe eine Operation möglich ist. Jedenfalls ist allem Anschein nach System vorhanden, wenn gerade Crispi stets von Neuem den Mittelpunkt solcher Phantasien bildet, die sicherlich nicht von Freunden Italiens ausgehen. Andererseits erhellt daraus, daß die bedeutsamen parlamentarischen Erfolge, die der italienische Conseilpräsident in der letzten Session errungen hat, ihm ein besonderes Prestige verschafft haben, so daß die weitere Durchführung der Reformen aus wirthschaftlichem und finanziellem Ge­biete mit seinem Namen verknüpft wird. Man wird jedoch kaum bei der An­nahme sehlgehen, daß die Initiative des Königs Umberto, der im richtigen Augenblicke stets die richtige Lösung gesunden hat, nicht minder in Betracht gezogen werden muß als die Tüchtigkeit seines Ministerpräsidenten. In dieser Hinsicht braucht nur aus die Entschließung des Königs hingewiesen zu werden, wonach der Kronprinz von Italien demnächst aus Sicilien das Kommando einer Division übernehmen soll. Ließen die Ruhestörungen aus dieser Insel vor einiger Zeit die Verhängung des Belagerungszustandes geboten erscheinen, so war doch die Auf­fassung ganz falsch, daß die revolutionäre Bewegung eine tiefgehende sei; viel­mehr handelte es sich zumeist um die Verhetzung eines Bruchtheils der im Grunde bei aller Erregbarkeit gutmüthigen Bevölkerung durch socialistische Demagogen. Wie wenig die gesammte Jnselbevölkerung durch diese Agitation in Mitleidenschaft gezogen ist, wird durch die freie Entschließung des Königs Umberto, seinen einzigen Sohn und Thronerben nach Sicilien in Verantwortlicher Stellung gehen zu lassen, aufs deutlichste bewiesen. Zugleich zeugt es von eindringlicher Menschenkenntniß, durch einen solchen Act des Vertrauens an den Tag zu legen, wie wenig begründet die den Sicilianern in ihrer Gesammtheit gemachten Vorwürfe erscheinen. Die starke Hand Crispi's wird lediglich im Interesse seines Vaterlandes von den Anarchisten und den mit diesen Verbündeten Elementen zur Genugthuung aller Freunde der