Literarische Rundschau.
Gabriel Monod über Renay, Tarne und Michelet.
^Nachdruck untersagt-s
U68 maitr68 äö lUistoire. Uöllg,i>, Uwns, Niebalot. kar (l ad rislKlVIo stock. 1?ari8, OalmLon Uöv^. 1894.
Jedesmal wenn ich daran gehe, über ein Buch zu referiren, stellt sich mir die Frage ein, ob die Hauptabsicht dahin zu richten sei, daß in dem Leser die Lust erwache, das Buch herbeizuschaffen; oder ob ich ihm so viel davon sagen soll, daß er sich bei dem Gedanken beruhigt, damit genug von dem Buch zu wissen. Nach der praktischen Erfahrung, die Jeder an sich selbst controliren mag, ist den Meisten damit gedient, wenn der Berichtende die letztere Alternative im Auge behält. Wir können doch nicht Alles lesen, selbst aus einem einzigen Gebiete, und es gibt Viele, die berechtigterweise fortlaufend von der Literatur mehrfacher, oft zahlreicher Gebiete unterrichtet bleiben wollen. Was man buchhändlerifch die „Reclame" nennt, die kurze Anzeige, im Sinne des Autors oder auch des Verlegers abgesaßt, hat offenbar nur die erstere Seite der Alternative im Auge. Sie will und soll zum Lesen, zum Kaufen des an gezeigten Werkes reizen. Darum ist sie kurz und zeichnet nur in prägnanten, möglichst vortheilhasten Linien. Umgekehrt, wer näher aus die Sache eingeht, eine möglichst treffende Skizze liefert, arbeitet, wollend oder nicht, für die große Zahl Derer, die das Werk kennen lernen wollen, ohne die Mühe des Lesens oder die Kosten der Anschaffung. So will er eigentlich das Gute und schafft, in gewissem Sinne, das Böse. Und hieran ließe sich die Untersuchung knüpfen, ob nicht eine Mode, die seit Jahrzehnten sich in Deutschland eingebürgert hat, neuerer Zeit sich aber auch über andere Länder ausbreitet — denn in geistigen Angelegenheiten dürfen wir stolz sagen, daß Deutschland in unserem Jahrhundert eine tonangebende Macht geworden ist — ob nicht die Mode, Bildung, insbesondere auch für die höhere Weiblichkeit, gerade durch die Geschichte der Literatur und Kunst zu verbreiten, diese Uebelthat aus guter Absicht grundsätzlich betreibt. Um noch mit einem Worte das Thema abzuschließen, muß eine dritte Species erwähnt sein. Sie ist recht eigentlich ein Kind des modernsten industriellen Zeitalters. Ein interessantes Buch geht in die Welt. Sofort stürzen sich Scharen von Feuilletonisten darüber her, schneiden das Pikanteste heraus und setzen es, mit einer leicht hinzuwersenden Einleitung versehen, als selbständiges Gericht dem Publicum vor, das sich, seiner Natur und der Beschaffenheit des Gebotenen entsprechend, gierig darauf wirft, mit Vergnügen seinen Appetit befriedigt, sich den Mund wischt und davon geht, wenn überhaupt dankend, so eher dem Kellner, der ihm die leckere Speise servirt hat, als dem Verfasser, der sie bereitete. Aber Jener beruhigt sich mit der Betrachtung, daß er nur seine Schuldigkeit gethan, und Dieser schmeichelt sich mit der Aussicht, daß der