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Deutsche Rundschau.
umfassender Forschung. Er hat die alte römische Geschichte, die französische Rechtsgeschichte, das Mittelalter, die Renaissance und die Reformation, Frankreichs besondere Geschichte und speciell die der Revolution bis in die Neuzeit bearbeitet, theils in übersichtlichen Verkürzungen (besonders ein guter „kroow de l'bwlolre do Kranes"), bald in ausführlichen Monographien. Daneben, oder vielleicht später, eine ganze Reihe von naturwissenschaftlichen Studien, „lla komme, l'oiseau, l'inLeeke, 1'nmour, ln mer, 1a montazne^ und andere mehr. Es sind diejenigen seiner Werke, die am meisten an einem Gemisch von theosophischer Verzückung und sinnlichem Mysticismus leiden. Den Uebergang dazu bilden die Bünde der französischen Geschichte, welche man gemeinhin als die seiner zweiten, minder gründlichen Periode charakterisirt. Seine ersten sechs Bände stehen noch ganz auf der Höhe ruhiger Forschung. Mit dem Ende der dreißiger Jahre, als seine Lehrthätigkeit im HollöM de üüanee ihm den Rausch eines hoch tönenden Erfolges bereitete, schlug er dann ins Schwunghafte, Declamatorische, Theatralische, Willkürliche um, dessen Eindrücke sonst so manchen guten oder schönen Kern übersehen lassen. Man muß in den deutschen Briefen jener Zeit, Heine, Gutzkow, Dingelstedt u. A., in ihren Schilderungen des damaligen Pariser Lebens, die Beschreibung jener Schaustellungen lesen, bei denen das Wut kaum, männlich und weiblich, die Katheder der Michelet, Guizot, Mickiewicz, händeklatschend umringte, um sich ein Bild dieser schriftstellerischen Atmosphäre zu machen. Michelet's Andenken hat gerade unter den Fehlern, die sich aus jener Zeit immer weiter und manchmal ins Groteske hinaus entwickelten, in Deutschland bei Denen, die seiner gedenken, gelitten. Karl Hille- brand's oben erwähnte Studie geht damit scharf ins Gericht; er wendet sich unwillig ab von dem „sibyllinischen Lallen", in welches der Prophetenton ausartete. Man kann ihm das bei einzelnen Stellen sehr wohl nachsühlen, ohne seine Ansicht zu theilen, daß Michelet allein diesen Ton angeschlagen habe. Ich finde in demselben vielmehr einen gemeinsamen Zug, der eine ganze Richtung lange beherrscht hat und der jetzt, umtMw mutaudls, in den 8^mboli8w8 und DäendontK wieder austaucht. In Quinet, in Lamartine, in Victor Hugo, in Henry Martin, in den Reden der Jules Favre und Gambetta und bis in die Hetärenmoralpredigten des jüngeren Dumas hinein kehrt immer Etwas von jenem falschen Pathos wieder, für welches die Franzosen selbst das treffende Wort „Pontisiciren" erfunden haben, ein verzücktes, priesterliches Oraculiren, sei es mit kalter Kunstberechnung, wie nach Hillebrand's richtiger Auffassung bei Victor Hugo, oder aus natürlicher Begeisterung, wie bei Michelet. Uebrigens läßt auch Hillebrand Letzterem, von diesen Extravaganzen abgesehen, Gerechtigkeit widerfahren. Wer seinen kurzen Essay im zweiten Bande der „Zeiten, Völker und Menschen", Nachlesen und ihn mit Monod's ausführlicherer und liebevoller, doch durchaus nicht unkritischer Studie Zusammenhalten will, wird ein richtiges Gesammtbild erhalten — ein Gesammtbild nicht nur dieses einzelnen Schriftstellers, sondern einer ganzen, höchst interessanten Periode, des literarischen Frankreich von 1830 bis 1870, welches auch in seinen Ausläufern allmälig vom Schauplatz verschwindet. Michelet, der deistische Enthusiast der großen Revolution, in deren Erfüllung er Frankreichs künftigen welterlösenden Beruf erblickt, die später geborenen Renan und Taine, welche, im Gegensatz dazu, jeder wieder in ganz verschiedener Weise, diese Auffassung sowohl philosophisch als historisch scharf ablehnen; alle Drei hervorragende Repräsentanten des französischen Geistes und Künstler in der Stoffbehandlung — es lohnt sich schon. Da ich aber mir im Laufe dieser Berichterstattung doch darüber klar geworden bin, daß es kaum gelingen wird, wenn es auch zu verantworten wäre, den Leser zum Ausschlagen aller hier vorgeführten Werke zu bestimmen, so gelange ich schließlich doch zu dem Ergebniß, daß ich ihm ruhigen Gewissens empfehle, das Buch Monod's zur Hand zu nehmen. Er wird in anziehender Form mit einer Fülle interessanter Gestalten und Dinge bekannt werden, mit viel mehr, als ich hier kurz andeuten konnte, und — wer weiß, ob ich nicht das Beste vergessen habe. L. Bamberger.