Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

genossen zu fließen. Eine solche Quelle sprudelt in dem oben angeführten Buche, für welches wir dem geistvollen, mit unserer Literatur genau vertrauten Gelehrten, Herrn Laguiante, dankbar find, dessen pietätvolle Hand diesen durch ein Vierteljahrhundert hin sortgeführten Briefwechsel des Humboldt'schen Ehepaares, eingeleitet durch ein treffliches biographisches Vorwort, in vorzüg­licher Uebersetzung dem französischen Publikum

und damit auch uns darbringt.

Beginnend mit dem Jahre 1799 und an ein Mitglied der wackeren Straßburger Gelehrten­familie Schweighäuser, Geoffroi, Sohn jenes be­rühmten Hellenisten Jean Schweighäuser, dessen treffliche Ausgaben des Athenaeus, Appian, Polybius, Herodot und Epiktet noch heule ver­dienter Würdigung genießen, gerichtet, waren diese Briefe, bis auf wenige französisch geschriebene Carolinen's.in deutscher Sprache abgefaßt. Leider fehlen die Antworten des Adressaten ganz; doch vermögen wir aus den in den Auslassungen der Briesschreiber enthaltenen zahlreichen Beziehun­gen auf den Inhalt jener einen Schluß zu ziehen, der dem jungen Elsässer nicht zur Unehre ge­reicht. Das Humboldt'sche Ehepaar verlebte, jung verheirathet, einen Zeitraum von vier Jahren (August 1797 bis Herbst 1801) fast aus­schließlich in Paris, im verständnißvollen Genuß der dort aufgehäuften Kunstschätze und eines Umgangskreises, der sich aus den geistreichsten und eigenartigsten Mitgliedern der damaligen Pariser Gesellschaft zusammensetzte. In diesen illustren Cirkel hatte, wohl empfohlen, auch der junge Schweighäuser Zutritt gewonnen und bald, enthusiastischer Freund der Familie, den Unter­richt der Humboldt'schen Kinder übernommen.

Die Berufung Schweighäuser's zur Fahne, weiterhin Humboldt's Rückkehr ins Vaterland und Entsendung nach Rom löste wohl das amt­liche Verhältniß Schweighäuser's zum Hause, nicht aber die bestehenden innigen Wechsel­beziehungen; dieselben trotzten der Zeit und der Entfernung, und gestalteten sich zu einem höchst interessanten Gedankenaustausch über beider­seitiges Geistesleben, Studien und Erfahrungen,

beredtes Zeugniß für die reine und hohe Sphäre, in der die Verfasser der Briefe wie deren Empfänger lebten. Die Correspondenz bricht ab mit dem Jahre 1823. Schweighäuser stieg zu verdientem Gelehrtenruf auf und folgte seinem Vater auf dem Lehrstuhl für griechisches Alterthum. Er starb im Jahre 1844. Dem typographisch musterhaft ausgestatteten Buche sind mehrere Bildtafeln Porträts und land­schaftliche Localitäten, auch das Facsimile eines Humboldt'schen Briefes aus dem Jahre 1802 beigegeben.

Erinnerungen eines Schleswig-Hol­steiners. Von Rudolph Schleiden. Vier­ter Bd. Wiesbaden, I. F. Bergmann. 1894.

Dieser vierte Band enthält die Ereignisse im zweiten Kriegsjahre 18491850; die Er­zählung beginnt mit der Wiedereröffnung des Kampfes im Sundewitt (April 1849) und dem Einmarsch in Jütland, in dem das Reichs­ministerium das einzige Mittel sah, um die Dänen zur Nachgiebigkeit zu bringen, und sie schließt mit der im Juni 1850 vollendeten Vereinzelung der Herzogthümer. Da Schleiden selbst in amt­

licher Stellung den Ereignissen anwohnte und demgemäß neben seiner Kenntnißdereinschlägigen Literatur über ungedruckte Quellen und reiche persönliche Wissenschaft verfügt, so ist er auch diesmal in der Lage, über die traurigen Er­eignisse jener Zeit ein helleres Licht zu ver­breiten. Es gilt dies namentlich von den Ver­handlungen, deren Ergebniß der Waffenstillstand vom 10. Juli 1849 gewesen ist, durch den Preußen den ganzen Rechtsstandpunkt, auf Grund dessen Deutschland den Krieg gegen Dänemark geführt hatte, vollständig preisgab. Der deutsche Bundes­tag hatte seine Einmischung in Schleswig dar­auf gegründet, daß es in einem staatsrechtlichen Verhältniß zu Holstein stehe; am 10. Juli aber gab Herr v. Schleinitz den Satz zu, daß Schleswig m politischer Verbindung mit Dänemark stehe und eine von Holstein abgesonderte Verfassung erhalten solle. Zwar war der Ausdruck In­korporation vermieden und die Ordnung der Erbfolgefrage Vorbehalten; aber das konnte Niemanden darüber täuschen, daß, wenn der Vertrag zur Durchführung gelangte, diese In­korporation das Ende von allem sein mußte. Wenn es so weit kam, so trug, wie Schleiden betont, nicht etwa die europäische Lage die Schuld; obwohl die Großmächte den Herzog- thümern abgeneigt und den Dänen günstig waren, so befand sich doch Preußen, so lange Oesterreich und Rußland noch mit Ungarn, die Franzosen mit Rom beschäftigt waren, keineswegs in einer Zwangslage. Deshalb nrtheilt Schleiden, daß Preußen ähnlich wie 1795 handelte, daß es sich ebenso wie beim Baseler Frieden nur im eigenen Interesse aus dem von ganz Deutschland unter­nommenen Kriege zurückziehen wollte:Dem schmachvollen Waffenstillstand ließ Preußen einen noch schmachvolleren Frieden folgen." Erhebend wirkt gegenüber dieser betrübenden Verleugnung der deutschen Mission Preußens durch die da­maligen Machthaber die Schilderung des Muthes, mit dem die Schleswig-Holsteiner sich anschickten, den Kampf um ihr Recht allein gegen Dänemark auszufechten, gemäß dem Väterspruch:Der Holste vertheidigt sein Recht mit dem Schwert." Wohl uns, daß auch dieses düstere Jahr wie so manches ähnliche unserer Geschichte durch die Großthaten der Jahre 18641871 ein über­wundener Standpunkt geworden ist! Das Dank­gefühl für Wilhelm I. und Bismarck wird, wie Schleiden mit Recht sagt, nur noch vertieft, wenn man sich des Gegensatzes zwischen 1850 und 1864 vollauf bewußt wird.

Geschichte des deutschen Einheits­gedankens. Ein Abriß deutscher Verfassungs­geschichte. Von Carl Biedermann. Wies­baden, I. F. Bergmann.

Der Veteran der nationalen Partei im Königreich Sachsen, dem wir schon so viele ge­diegene Schriften zur deutschen Geschichte ver­danken, bietet in diesem nur 68 Seiten starken Hefte einen Ueberblick über die gesammte po­litische Entwicklung unseres Volkes von der Ur­zeit bis zur Errichtung des neuen Reiches im Jahre 1870 und 1871. Der leitende Gesichts­punkt ist, nachzuweisen, wie am Anfang unserer Geschichte der Sondergeist unser Volk so gut wie völlig beherrscht (nur Sklaven des eigenen Stammes zu halten, ward als unnatürlich an-