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Deutsche Rundschau.
müthig zu Sinn, wozu die das Haus durchziehende Baldrian- und Veilchen- Wurzel-Lust das Ihrige beitragen mochte.
Pünktlich waren Jnnstetten und Frau erschienen, aber trotz dieser Pünktlichkeit immer noch hinter den andern Geladenen zurückgeblieben; Pastor Lindequist, die alte Frau Trippel und die Trippelli selbst waren schon da. Gieshübler — im blauen Frack mit mattgoldenen Knöpfen, dazu Pincenez an einem breiten schwarzen Bande, das wie ein Ordensband auf der blendendweißen Piquvweste lag — Gieshübler konnte seiner Erregung nur mit Mühe Herr werden. „Darf ich die Herrschaften mit einander bekannt machen; Baron und Baronin Jnnstetten, Frau Pastor Trippel, Fräulein Marietta Trippelli." Pastor Lindequist, den Alle kannten, stand lächelnd bei Seite.
Die Trippelli, Anfang der Dreißig, stark, männlich und von ausgesprochen humoristischem Typus, hatte bis zu dem Momente der Vorstellung den Sopha-Ehrenplatz innegehabt. Nach der Vorstellung aber sagte sie, während sie auf einen in der Nähe stehenden Stuhl mit hoher Lehne zuschritt: „Ich bitte Sie nnnmehro, gnäd'ge Frau, die Bürden und Fährlich- keiten Ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von „Fährlichkeiten" — und sie wies auf das Sopha — wird sich in diesem Falle Wohl sprechen lassen. Ich habe Gieshübler schon vor Jahr und Tag darauf aufmerksam gemacht, aber leider vergeblich; so gut er ist, so eigensinnig ist er auch."
„Aber Marietta ..."
„Dies Sopha nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurückliegt, ist noch nach einem altmodischen Versenkungsprincip gebaut, und wer sich ihm anvertraut, ohne vorher einen Kissenthurm untergeschoben zu haben, sinkt ins Bodenlose, jedenfalls aber gerade tief genug, um die Knie wie ein Monument ausragen zu lassen." All' dies wurde Seitens der Trippelli mit eben so viel Bonhommie wie Sicherheit hingesprochen, in einem Tone, der ausdrücken sollte: „Du bist die Baronin Jnnstetten, ich bin die Trippelli."
Gieshübler liebte seine Künstlerfreundin enthusiastisch und dachte hoch von ihren Talenten; aber all' seine Begeisterung konnte ihn doch nicht blind gegen die Thatsache machen, daß ihr von gesellschaftlicher Feinheit nur ein bescheidenes Maß zu Theil geworden war. Und diese Feinheit war gerade das, was er persönlich cultivirte. „Liebe Marietta," nahm er das Wort, „Sie haben eine so reizend heitere Behandlung solcher Fragen; aber was mein Sopha betrifft, so haben Sie wirklich Unrecht, und jeder Sachverständige mag Zwischen uns entscheiden. Selbst ein Mann wie Fürst Kotschnkoff . . ."
„Ach, ich bitte Sie, Gieshübler, lassen Sie doch den. Immer Kotschnkoff. Sie werden mich bei der gnäd'gen Frau hier noch in den Verdacht bringen, als ob ich bei diesem Fürsten — der übrigens nur zu den Kleineren zählt und nicht mehr als tausend Seelen hat, das heißt hatte (früher wo die Rechnung noch nach Seelen ging) — als ob ich stolz wäre, seine tausend und einste Seele zu sein. Nein, es liegt wirklich anders; „immer frei weg", Sie kennen meine Devise, Gieshübler. Kotschnkoff ist ein guter Kamerad und mein Freund, aber von Kunst und ähnlichen Sachen versteht er gar nichts, von Musik gewiß nicht, wiewohl er Messen und Oratorien componirt — die