Tie Reform der preußischen Agrarverfassung und die Berliner Konferenz. 193
Kapitalien der Landwirthschast zugeströmt waren. Dieser große landwirth- schastliche Aufschwung nützte jetzt den Bauern- ebenso wie den Rittergütern, während eine ähnliche Blüthe dereinst zur Zeit der Hohenstaufen Wohl den Bauern, nicht aber den Grundherren zu Gute gekommen war.
Das Steigen des Brutto-Bodenertrages in Deutschland seit den dreißiger Jahren traf zugleich mit geringen Lebensbedürfnissen und großer Sparsamkeit der Eigentümer, niedrigen Arbeitslöhnen und mäßigen öffentlichen Abgaben zusammen, was so viel heißt, daß dem großen Bruttoertrag auch eine hohe Bodenrente entsprach. Es war daher bei dem unaufhaltsamen Steigen der Bodenrente natürlich, daß bei Verkäufen und bei Vererbungen der Güter seit jener Zeit bis in die achtziger Jahre auch das künftig erwartete weitere Steigen der Bodenrente bereits in der Gegenwart discontirt wurde, und die Bodenpreise höher waren als die augenblicklich gegebene Bodenrente es berechtigt erscheinen ließ. Aber so lange das Steigen andauerte, machte der Gutskäuser auch dann noch ein gutes Geschäft, wenn er sein Gut momentan scheinbar überzahlt hatte. Und zwar nicht nur wegen des esfectiven Eintretens der erwarteten Rentensteigerung, sondern auch weil er in nicht gar ferner Zeit die Möglichkeit erhielt, sein Gut zu einem viel höheren Preise wieder zu verkaufen, und auf diese Weise die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreise zu gewinnen. So drängten sich denn immer mehr Personen in die Reihen der Käufer, je geringer die Anzahlung war, die von den Verkäufern verlangt wurde. Denn das Erscheinen auch wenig capitalkräftiger Käufer aus dem Gütermarkt wird durch die preußische Hypothekengesetzgebung unzweifelhaft mehr erleichtert als in irgend einem anderen Lande Europa's. Und auch an Verkäufern fehlte es aus den oben angegebenen Gründen nicht.
Ja, die Intensität des landwirthschastlichen Betriebes und der Güterhandel waren so groß geworden, daß es den Landwirthen zeitweilig, namentlich in den sechziger Jahren, an Credit zu fehlen begann, da die alten Landschaften sich weigerten, ihre Beleihungsgrundsätze zu Gunsten einer Erweiterung des von ihnen zu gewährenden Kredits zu ändern. Zu dieser Zeit stieg der Zinsfuß für Hypotheken aus 5—6 Procent und sank der Kurs der Pfandbriefe aus 80 Procent. Es ist das zugleich die Periode der Entstehung und Verbreitung der capitalistischen Hypothekenbanken im nördlichen Deutschland und überhaupt der starken Vermehrung der dem Landwirthe zur Verfügung stehenden Credit- quellen, aber auch die Zeit, da Rodbertus inmitten einer Prosperität sondergleichen unter den Landwirthen seinen Warnruf ertönen ließ, indem er auf die schwankende Basis der Bodenpreise hinwies und eine Reform der rechtlichen Behandlung des Grundbesitzes verlangte. Aber die Zeit war noch nicht gekommen, in der er Verftändniß und Gehör fand.
Mittlerweile war aber der in seinem Verkehrswerth bedeutend gestiegene Grundbesitz zugleich mit Hypothekenschulden immer mehr belastet worden, Hypothekenschulden, die — woraus ebenfalls Rodbertus zuerst hingewiesen hatte — größtentheils aus rückständigen Kaufschillingen und schuldig gebliebenen Erbgeldern herstammen. Als dann mit den siebziger und namentlich mit den achtziger Jahren die Preise der meisten landwirthschastlichen Pro-
Deutschs Rundschau. XXI, 2. 13