Die Reform der preußischen Agrarverfassung und die Berliner Konferenz.
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für den Morgen Land in den letzten acht Jahren von 500 auf 200 Thaler gefallen sei; aber in den meisten Gegenden soll es nach Conrad bisher doch gelungen sein, den Werth des Grund und Bodens aus der bisherigen Höhe zu erhalten. Nur allmälig beginne die Domänenpacht hier und da sich der gesunkenen Bodenrente anzupassen. Möglich, ja wahrscheinlich ist es, daß der Enteignungsproceß der Kapitalisten in Preußen nicht so weit gediehen ist wie in Oesterreich, weil man in Deutschland noch der Hoffnung lebt, es werde schließlich doch gelingen, die Preise der landwirtschaftlichen Products zu heben oder die Ausgaben der ländlichen Grundbesitzer zu vermindern.
Und an Anstrengungen, um in beiden Richtungen Resultate zu erzielen, hat es in den letzten zehn bis zwanzig Jahren nicht gefehlt. Erhöhung der Preise durch Schutzzölle, durch Entwertung der Valuta (Bimetallismus), durch Einführung eines Reichsmonopols für den auswärtigen Handel mit Getreide, Verminderung der Ausgaben durch Steuererlasse und Anderes mehr haben einander als sehnlich begehrte Ziele abgelöst, und die Erbitterung weiter landwirtschaftlicher Kreise über den Abschluß der Handelsverträge in den Jahren 1891/92 und 1893/94 hat gezeigt, wie tiefe Wunden durch die Enttäuschungen der Schutzzollpolitik vielen Landwirthen geschlagen worden sind.
Als wirklicher Vorteil auf Seiten der Landwirthe kann das Sinken des Geldcapitalzinses seit den siebziger, namentlich aber seit dem Schluß der achtziger Jahre, die Preissteigerung einiger weniger Rohprodncte und mehrerer Producte der landwirtschaftlichen Nebengewerbe, sowie die Auserhebungsetzung der Ertragssteuern für Staatszwecke angesehen werden, durch welche letztere Maßregel die Mehrbelastung der Landwirthe für die Zwecke der Arbeiterversicherung wettgemacht sein dürste.
Als ein fernerer Gradmesser für die Ungunst der Lage dürfen die zahlreichen Projecte angesehen werden, welche alle aus dem Streben hervorgingen, auch dem Einzelnen zu helfen, indem man die Agrarverfassung, welche die Rechtsbasis seines Berufs bildet, den gegebenen Conjuncturen anznpassen suchte. In dieser Hinsicht ist es charakteristisch, daß Oesterreich, welches die oben mit- getheilten großen Zahlen über die ausgefallenen Hypotheken ausweist, zugleich dasjenige Land ist, in dem bereits am Schluß der sechziger Jahre der Plan einer allgemeinen Grnndentlastung und Schließung der Hypothekenbücher zuerst ansgetaucht ist, während ähnliche Pläne in Deutschland erst später auftraten, wahrscheinlich weil die Krisis sich hier erst später zu ihrer gegenwärtigen Schärfe entwickelt hat.
Der oben gekennzeichneten Stimmung in landwirthschastlichen Kreisen Preußens suchte die preußische, bezw. Reichsregiernng neuerdings einigermaßen Rechnung zu tragen durch Einsetzung einer Silber-Enqnstecommission, sowie durch einen Schritt, den der preußische Minister für Landwirthschaft unternahm, unmittelbar nachdem durch die Silberenquvte die Hoffnungen der Landwirthe vorläufig begraben oder vielleicht nur zu einer Art Scheintod ver- urtheilt Worden waren.
Eingeleitet wurde die zuletzt erwähnte Maßregel des Ministers durch eine in der Thronrede vom 16. Januar 1894 enthaltene Hindeutung: „Ein so