Die Reform der preußischen Agrarverfassung und die Berliner Konferenz. 197
Specialdiscussion war dem Anerbenrecht, der zweite der Schuldentlastung und Verschuldungsgrenze und der dritte der Organisation des Real- und Personal- credits sür den kleinen, mittleren und größeren Grundbesitz gewidmet.
In der Generaldiscussion, sowie in der Debatte über die Erbrechtsreform herrschte eine große llebereinstimmung der Ansichten. In den Fragen der Grundentlastung und Creditbegrenzung gingen die Ansichten dagegen allerdings mehr auseinander, aber doch nicht so weit, als man von vornherein hätte annehmen sollen; indeß verlief die Discussion auch über diese Punkte immer sachlich und ruhig. Parteileidenschast und Gereiztheit traten nirgends zu Tage, dank zum Theil der theils einschränkenden, theils vermittelnden Thätig- keit des Präsidenten.
Von den Conferenzmitgliedern wurden mehrere Anträge gestellt. Doch fand eine Abstimmung und Beschlußfassung über dieselbe nicht statt. Vertreter der Presse waren zu den Sitzungen nicht zugelassen; doch erhielt die Presse während der Tagung der Conferenz kurze Berichte über den Verlauf der Sitzungen mitgetheilt; auch wurde im Bureau ein stenographisches Protocoll abgefaßt, das gegenwärtig in einem stattlichen Bande vor uns liegt*).
Was nun die gegenwärtige Lage der Landwirthschast betrifft, so wurde sie in der Conferenz allgemein als ernste ansgefaßt; haben doch in der Zeit zwischen 1886/87 und 1892/93 in Preußen die hypothekarischen Eintragungen aus dem Lande die Löschungen während dieser Zeit um 1093,95 Millionen Mark überstiegen. Wenn nun auch die mögliche Differenz zwischen diesen buchmäßigen und den effectiven Zahlen berücksichtigt wird, so bleibt die Zunahme der Hypothekenlast in diesen sieben Jahren um mehr als eine Milliarde doch eine enorme.
Im Ganzen scheint im Osten die Lage schlimmer zu sein als im Westen, und zwar wegen des rauheren Klimas und der geringeren Capitalverbreitung. Außerdem wies Graf von Zedlitz-Trützschler in seiner rücksichtslosen Wahrheitsliebe darauf hin, daß im Osten ein großes Areal unter den Pflug genommen sei, welches die landwirthschaftliche Nutzung nicht lohne, und daß andererseits das Ueberwiegen des großen Grundbesitzes den gegebenen Verhältnissen nicht überall entspräche. Dagegen treten im Westen an Stelle dieser Mängel des Ostens wieder andere Mängel, wie z. B. die zum Theil zu weit gehende, den Fortschritt der Landbautechnik hindernde Zersplitterung des Grundbesitzes, das Zurücktreten der ergiebigen Molkerei, Brennerei, Zuckerfabrikation und Pferdezucht, die durch die größere Verbreitung der Industrie veranlaßten höheren Löhne und Anderes mehr. Durch welche Momente das Sinken der Bodenrente im Osten bestimmt wird, dafür führt derselbe Gras von Zedlitz-Trützschler, der frühere Cultusminister, Besitzer eines über zweitausend Morgen großen Gutes in Schlesien, folgende Zahlen aus seinen Wirtschaftsbüchern an: Zwischen 1863/64 und 1893/94 war das Lohnconto um 103 Procent gestiegen und waren ferner eine Reihe neuer
0 Landwirthschaftliche Jahrbücher, Band XXII, Ergänznngsband II, die Verhandlungen der Agrarconferenz vom 28. Mai bis 2. Juni 1894 enthaltend. Berlin, Parey. 1894; und dazu: M. Sering, Die preußische Agrarconferenz in Schmoller's Jahrbuch. Neue Folge. Jahrgang XVIII, Heft 3, Abtheilung I, S. 249 ff.