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Deutsche Rundschau.
Lasten zu den alten hinzugekommen, z. B. für Arbeiterversicherung. Nun waren wahrend dieser dreißigjährigen Periode die Getreideerträge bei gleicher Größe des Grundbesitzes allerdings um 230 Procent gestiegen; aber dieses Plus an Naturalroherträgen wurde doch bedeutend geschmälert, einmal durch das Steigen der Productionskosten und sonstigen Ausgaben, sowie namentlich durch die mittlerweile gesunkenen Getreidepreise. Dafür, daß übrigens auch im Westen ein Theil der Grundbesitzer in Verlegenheiten gerathen ist, wird aus Westfalen angeführt, daß von den 2700 Mitgliedern der westfälischen Landschaft in den letzten Jahren 900 sogenannte Nachtragsdarlehne ausgenommen und daß während dieser Zeit von den Bauern in erheblichem Maße Abverkäuse kleiner Splißtheile stattgesunden haben; beides zum größten Theil, um die Zinsen der aus den Gütern ruhenden Schulden zu decken. Hinsichtlich der Verkeilung der Noth aus die verschiedenen Classen der ländlichen Grundbesitzer stimmten die aus verschiedenen Gegenden stammenden Berichte aber größtenteils überein. Solche Berichte lagen vor aus den Provinzen Ostpreußen, Pommern, Brandenburg, Sachsen, Hannover, Westfalen, Rheinprovinz und Hohenzollern. Danach lagen die Dinge im Osten am wenigsten schlimm bei den ganz großen Grundbesitzern und bei den kleinen Bauern. Bei den ersteren, weil ihre Besitzer zum Theil durch Fideicommisse gegen Verschuldung geschützt, oder weil ihre Güter doch auch sonst so groß sind, daß bei einer verständigen Einschränkung der Lebensansprüche der standesgemäße Unterhalt noch immer gedeckt werden kann; und daß eine verständige Beschränkung der Lebensansprüche in diesen Kreisen in der That stattgefunden hat, wurde in der Conferenz von mehreren Seiten behauptet. Die Bauern ferner, zumal die kleinen, leiden unter der gegenwärtigen Krisis weniger, weil sie die notwendige Arbeit mit den Kräften der eigenen Familie zu verrichten pflegen und nur in beschränktem Maße theure fremde Kräfte hinzuzumiethen haben; alsdann, weil sie gewöhnlich nicht viel Getreide zu verkaufen brauchen. Endlich hilft ihnen, wo sie sich die ihnen historisch anerzogene Fähigkeit, sich „krumm zu legen", erhalten haben, auch diese, da ihr Standesauswand kein hoher und auch kein fester ist, und die Erziehung ihrer Kinder ihnen keine großen Kosten verursacht. Dennoch soll nicht geleugnet werden, daß es auch unter diesen beiden extremen Kategorien von Grundbesitzern an gefährdeten Existenzen nicht ganz fehlt. Doch scheinen sie im Ganzen nicht so zahlreich, und scheint die Noth nicht so groß zu sein wie unter den mittleren Grundbesitzern, d. h. den großen Bauern und kleinen Rittergutsbesitzern. Die ersteren werden häufig durch ihre theuern Arbeiter, sowie durch ihre eigene, etwas prunkhafte Art ruinirt, wenngleich die Dinge in großen Theilen Deutschlands doch nicht so schlimm zu stehen scheinen wie in Deutsch-Tirol, wo die hohen Ansprüche der Knechte und Mägde zum Ruin der Bauern häufig das Meiste beitragen sollen. Daß übrigens auch in Deutschland die Persönlichkeit der Besitzer für seine wirthschaftliche Lage sehr wesentlich mit in Betracht kommt, das zeigen unter Anderem folgende aus Ostpreußen mitgetheilte Thatsachen: dort soll die Lage am günstigsten sein unter der litthauischen und gemischt deutsch-litthauischen bäuerlichen Bevölkerung; dagegen ist sie weniger günstig unter den deutschen, und am wenigsten