Die Reform der preußischen Agrarverfassung und die Berliner Konferenz. 199
günstig unter den polnischen Bauern. Was sodann den kleineren Rittergutsbesitzer betrisft, so hat er gewöhnlich eine Bildung, die er seinen Kindern nur dann zukommen lassen kann, wenn er sie in die theuere Stadt in Pension gibt; auch kann er seine eigene Lebenshaltung nicht wesentlich Herabdrücken, da sie die eines gebildeten Mannes von geringen Lebensansprüchen ist. So kommt es denn, daß, wenn die Bodenrente sinkt und kein sonstiges eigenes Capital vorhanden ist, der Credit angespannt werden muß, und daß mit Erweiterung desselben die Zinsen und damit zugleich die Verlegenheiten wachsen. In diesen Kreisen herrscht daher viel Sorge und wird die Existenz häufig nur mühsam von Tag zu Tag gesristet, nicht ohne den Verwandten, von denen man Geld geborgt hat, mehr oder minder große Opser auszuerlegen. Die Furcht vor dem gänzlichen Ausfall ihrer Forderungen hindert diese und auch die fernerstehenden Gläubiger indeß häufig, die Execution zu beantragen. Namentlich gilt dies von denjenigen Ländern, in denen bei der Realexecution das sogenannte Deckungsshstem zur Anwendung kommt, wie schon seit Langem in Württemberg, Hessen, Hamburg, Lübeck und seit Kurzem auch in Preußen, Sachsen und Bayern; oder wo, wie in Oesterreich, die Executionsnovelle vom 10 . Juni 1887 gilt.
Zur Charakterisirung der Lage der ländlichen Grundbesitzer im Osten seien folgende von dem Generallandschaftsdirector der Provinz Ostpreußen mit- getheilte Zahlen hier angeführt. Danach betrugen die Zinsenreste, ausgedrückt in Procenten der gesammten fälligen Zinsen, am Schluß des Rechnungsjahres:
1885 — 4,2 o/o, 1886 — 6,5 °/o, 1887 — 10,5»/», 1888 — 10,40/», ig89 —
5,6 0/0, 1890 — 7,3o/o, 1891 — 6,2 A», 1892 — 6 , 80 / 0 , 1893 — 7,1 «o,
1894 — 9 , 8 o/o. Bei derselben Landschaft befanden sich ferner in Zwangsverwaltung, wobei zu erwähnen ist, daß seit 1888 eine Reihe kleinerer Güter nicht mehr sequestrirt zu werden Pflegt, in den Jahren: 1884 — 16, 1885— 25,
1886 - 20, 1887 — 23, 1688 — 27, 1889 — 24, 1890 — 10, 1891 — 14, 1892 — 6 , 1893 — 9 Güter. Endlich war die Landschaft an durchgeführten Zwangsvollstreckungen betheiligt in den Jahren: 1884 mit 0 , 220 / 0 , 1885 — 0,33o/o, 1886 — 0,71o/o, 1887 - 0,66o/o, 1888 0,76°/o, 1889 — 0,800/o, 1890 — 0,47 0,0, 1891 — 0,52 0 / 0 , 1892 — 0,40»/», 1893 — 0,27 0 / 0 .
Von diesen Zahlen darf jedoch nicht ohne Weiteres aus die Lage der Grundbesitzer geschlossen werden, da jeder Besitzer in erster Linie seine Verpflichtungen gegenüber der Landschaft zu erfüllen sucht, welche außerdem ja die bestlocirten Hypotheken besitzt.
Daß übrigens die Lage der Landwirthe nicht nur im Osten, sondern auch im Westen eine gespannte ist, zeigen folgende von einem Mitgliede der Conferenz vorgelegte Zahlen. In vierzehn kleineren, wesentlich ländlichen Gemeinden eines Landgerichtsbezirks der Rheinprovinz angestellte Ermittelungen ergaben bei einem Katastralreinertrage von 224685 76 Thalern und einem Häusernutzungswerth von 288 765 Mark eine hypothekarische Verschuldung von 5 983 450 Mark, nachdem der aus Correalhypotheken entfallende Betrag entsprechend gekürzt worden war. Da der durchschnittliche Verkaufswerth dem dreißigfachen Katastralreinertrag gleichgestellt ward, so war die Verschuldung