Heft 
(1894) 81
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Die Reform der preußischen Agrarverfassung und die Berliner Konferenz. 203

derselben gehört habe; das übrige Geld sei ihnen von ihren Verwandten geliehen worden.

Aber die Erwerbung von Vermögen auf dem eben bezeichnten Wege schlägt in ihr Gegentheil um, wenn die Bodenrente ins Sinken geräth.

Gegen diesen constitutionellen Fehler unserer Agrarzustände wird nun in Vorschlag gebracht: die Ersetzung des allgemeinen Erbrechts für den selbstän­digen ländlichen Grundbesitz durch das Anerbenrecht; die obligatorische oder saeultative Einführung einer Maximalgrenze für die hypothekarische Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes, nachdem vorher die tatsächliche Verschuldung bis aus diese Grenze herabgemindert ist, wobei die Frage, welche Organe diese oder jene Manipulation durchzuführen hätten, eine Frage mehr secundärer Be­deutung ist.

Da in der Conferenz wiederholt Rodbertus als eine Art von Schutz­patron der befürworteten Bestrebungen erwähnt worden ist, so dürfte es hier Wohl am Platze sein, festzustellen, ob und wie weit die discutirten Pläne den Namen von Rodbertus zu tragen berechtigt sind.

Rodbertus' großes Verdienst ist es, seiner Zeit aus die specifisch wirt­schaftliche Natur des Grundbesitzes hingewiesen zu haben. Weil derselbe nicht Capital, sondern nur Rentenfonds sei, so dürfe er im Verkehr (bei Vererbung, Verkauf u. s. w.) auch nur als solcher behandelt werden. Aber während der Keim zu dieser Ausfassung sich bereits bei Justus Möser vorfindet, ist Rod­bertus bei Hervorhebung der wahren Gründe der Verschuldung des Grund­besitzes durchaus originell; denn nicht, wie man bisher allgemein annahm, stamme das Capital, das als Grundschuld erscheine, in den meisten Fällen von außen her und werde mit dem Grund und Boden durch Meliorationen verbunden, sondern es sei, so betont Rodbertus nachdrücklich, dieses Capital in den meisten Fällen nichts Anderes, als im Wege des Erbrechts, Verkaufs u. s. w. dem jetzigen Eigentümer entfremdete Werthbestandtheile, die sich nun in dritten Händen (in denen der Miterben, Verkäufer u. s. w.) befänden.

Was an den weiter unten zu besprechenden, auf der Agrarconferenz zur Discnssion gelangenden Vorschlägen an diese beiden Gedanken erinnert, mag aus Rodbertus znrückgeführt werden. Keineswegs gehört dahin aber die be­fürwortete Einführung einer capitalistischen Grenze für die hypothekarische Verschuldung und des Tilgungszwanges. Denn nur widerwillig hat Rodbertus hinterher Rudolf Meyer gegenüber einige Concessionen bezüglich der Tilgung gemacht, die nicht in sein ursprüngliches Programm hineingehörten. Auch war er kein Freund des Anerbenrechtes, indem erst einer seiner Anhänger, H. Schumacher-Zarchlin, die Rentenverschuldung mit dem Anerbenrecht zu­sammengebracht hat.

IV.

Was zunächst das erbrechtliche Gebiet betrifft, so beabsichtigte man, der ländlichen Sitte der ungeteilten Gutsvererbung einen festen gesetzlichen Halt zu geben, zwischen den collidirenden Interessen des Anerben und denen seiner vom Gute weichenden Geschwister billig zu vermitteln und die thunlichst wenig