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Deutsche Rundschau.
verschuldete Erhaltung des ungetheilten Gutes in der Familie ohne Einschränkung der Freiheit des Eigenthümers zu bewirken. Dieser Zweck sollte erreicht werden durch den ausschließlichen Uebergang des Nachlaßgutes aus einen Erben, den sogenannten Anerben, nach Maßgabe einer sich auf den Ertragswerth stützenden Gutstaxe.
Die Wahl des Anerbenrechts als der für den ländlichen Grundbesitz geeignetsten Erbfolgeart setzt voraus, daß man die beiden principiellen Hauptfragen über das Erbrecht folgendermaßen entschieden habe: die Frage, ob es richtiger sei, das durch einen Todesfall frei werdende Grundstück der mit Capital am reichsten ausgestatteten oder der mit der Landwirtschaft im Allgemeinen und der mit der Wirtschaft auf dem betreffenden Gute im Speciellen am besten vertrauten Person zuzuführen, im letzteren Sinne; die Frage, ob es im Geist des Erbrechts liege, an die Erben die concreten Güter des Erblassers oder nur ihren Geldwerth gelangen zu lassen, dagegen im ersteren Sinne. Wenn dies die Voraussetzungen für das Anerbenrecht zu allen Zeiten waren, so hat dieses selbst im Laufe der Zeit doch insoweit eine Aenderung erfahren, als das Anerbenrecht früher seine ausschließliche Anwendung auf einen bestimmten Kreis von bäuerlichen Höfen fand, und als der Anerbe der einzige Erbe des Erblassers im Besitz sowohl des Hofes, wie seines Werthes war, während das Anerbenrecht gegenwärtig Wohl ein ausschließliches Recht auf den Hof selbst, aber nur ein Vorzugsrecht auf den Werth desselben gibt, in den der Anerbe sich im klebrigen mit seinen Miterben zu theilen hat, und daß das Anerbenrecht in diesem neueren Sinne seine Anwendung auch über den engeren Kreis der Bauergüter finden kann und zu finden pflegt.
lieber das Anerbenrecht herrschte die größte Uebereinstimmung in der Conserenz. Auch glauben wir nicht fehlzugehen, wenn wir annehmen, daß ein bezüglicher, von der Regierung mit Geschick ausgearbeiteter und vertretener Entwurf in den Kammern und auch außerhalb derselben heute auf keinen nennenswerthen Widerspruch stoßen würde. Die Anerbenrechtsidee hat sich in den zwanzig Jahren, in denen sie die Öffentlichkeit beschäftigt, allmälig in den Köpfen festgesetzt. Die theils günstigen, theils ungünstigen Erfahrungen haben die richtigen Ansichten befestigt und die Illusionen zerstört, und der realistische Zug unserer Zeit hat die Wolke von Phrasen, die dem Anerbenrecht bisher folgte, zerstreut. In den weitesten Kreisen ist heute das Verständniß dafür eröffnet, „daß es auch im dauernden Interesse aller Familienangehörigen besser ist, wenn eines von ihnen wohlhabend ist, als wenn sie durch fortgesetzte Theiluug in wenigen Generationen Alle zu Bettlern werden" (Hermes). So ist denn das Anerbenrecht heute nicht nur Etwas, was die größeren Besitzer für die Bauern begehren, sondern dessen sie selbst, wie verschiedene Redner in der Conserenz ausdrücklich betonten, ebenso sehr und — füge ich hinzu — vielleicht noch mehr als die Bauern bedürfen; „denn es empfindet auch der große Besitzer es als eine Rechtfertigung vor dem eigenen Gewissen, wenn er bei einer den Gutsübernehmer begünstigenden Verfügung sich mit dem allgemeinen Erbrecht in Einklang weiß" (Gras von Zedlitz-Trützschler).