Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

Wenn der preußische Landwirthschafts- und der preußische Justizminister sich bereits vor Einberufung der Agrarconferenz durch die ihnen zur Verfügung stehenden Organe über den Zustand der Grundbesitzvererbung haben Bericht erstatten lassen, so mag das geschehen sein, um das formell neu zu gestaltende Recht möglichst eng an die geltende Sitte anzuschließen, vorausgesetzt, daß diese von günstigen Folgen begleitet ist.

Dieser von Gierte aus der Agrarconferenz in Vorschlag gebrachte Weg ist von mir erstmalig bereits vor zehn Jahren angeregt und dann später wieder­holt worden I. Er entspricht im Allgemeinen auch der Stellungnahme des landwirthschaftlichen Vereins für Bayern, des preußischen Landesökonomie­collegiums und des deutschen Landwirthschaftsraths der Erbrechtsfrage, und endlich auch demjenigen Verfahren, das der österreichische Reichsrath in dem von ihm angenommenen Reichsgesetz vom l. April 1889, betreffend die Ein­führung besonderer Erbtheilungsvorschriften für die landwirthschaftlichen Be­sitzungen mittlerer Größe, einzuschlagen für gut befunden hat. Nur hat man in Oesterreich den Fehler begangen, die Wirksamkeit des allgemeinen Reichs­gesetzes abhängig zu machen von dem Erlasse der für die einzelnen Kronländer bestimmten speciellen Ausführungsgesetze, ein Erlaß, der merkwürdiger Weise bis heute auf sich warten läßt, trotzdem die conservative Partei bereits im Jahre 1880 durch ihre Führerschleunige und energische legislative Maßregeln" auf agrarpolitischem Gebiete dringend verlangte und trotzdem dieselbe Partei auch noch heute über die Majorität in den Landtagen Salzburgs, Oberöster­reichs, Tyrols und Vorarlbergs verfügt. Auch hat das österreichische Gesetz nicht zu vermeiden gewußt, einige Fehler zu begehen (zu starke und zudem unklar formulirte Bevorzugung des Anerben, Verquickung des Anerbenrechts mit dem Güterschluß u. s. w.), durch welche das Gesetz in den Augen des Bauern leicht discreditirt werden konnte.

Möchte über der preußischen Gesetzgebung ein günstiger Stern walten! Wir wagen es zu hoffen, weil für die deutsche Volkswirthschast und ebenso für das deutsche Anerberecht schon viel darauf ankommt, daß das deutsche bürgerliche Gesetzbuch sich nicht in Widerspruch zu den wirthschastlichen Be­dürfnissen und Rechtsüberzeugungen eines maßgebenden Theils des deutschen Volkes setze.

V.

Wenn auch nicht zu verkennen ist, daß die Zurückführung der Erbschafts­taxen auf denjenigen Werth, zu dem Landgüter nicht nur veräußert, sondern auch angetreten und aus die Dauer besessen werden können, einen Einfluß auf die Bewerthung der ländlichen Grundstücke überhaupt haben muß, so hat man diese Einwirkung doch nicht für genügend gehalten und einen Einfluß auch auf die Verkaufspreise auszuüben gewünscht. Dies konnte aber ebenfalls nur

9 A. v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigcnthumsvertheilung im Deutschen Reiche. Zwei Abtheilungen. Leipzig 18821884. Derselbe, Agrarpolitische Zeit- Und Streitfragen. Leipzig 1889, besonders die Abhandlungen 46, sowie die Artikel Anerbenrecht und Altenthcilsvertrüge in Conrad Lexis' Staatswörterbuch, Band I.