Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

Wenig aufregen; umsomehr aber vielleicht die Frage des Anerbenrechts und die scheinbare Bevorzugung des Anerben. Doch ist in diesem Falle darauf zu rechnen, daß der Gegensatz von besitzlosen Arbeitern und besitzenden Unter­nehmern auf dem Lande lange nicht so scharf ausgebildet ist, wie im Gewerbe, und daß in der Landwirthschaft der fleißige und sparsame Arbeiter noch immer hofsen darf, dereinst Grundbesitzer zu werden. Ja, er wird in diesem Bestreben neuerdings durch den preußischen Staat und seine die Rentengüter­bildung begünstigende Gesetzgebung mannigfach unterstützt, wie denn die ge­gebenen Conjuncturen für die Kleingüterbildnng durchaus nicht ungünstig sind. So wird denn Derjenige, der heute seinem Bruder, dem Anerben, scheinbar ein Opfer bringt, vielleicht morgen bereits in der Lage sein, ein solches, wieder­um scheinbares Opfer für eins seiner Kinder seitens der Uebrigen in Anspruch zu nehmen.

Auch wird das Bestreben dahin gehen müssen, die weder direct noch in- direct am Reformwerk betheiligten Classen für dasselbe zu gewinnen. Denn bei entschiedenem Widerstreben der gestimmten, nicht ländlichen Bevölkerung gegen die Reform wird sich dieselbe nicht durchführen lassen. Die vielen und lauten Klagen der Landwirthe, sowie die Ablehnung eines Theils ihrer aus die directe Erhöhung der Preise gerichteten Bestrebungen, und endlich die Un­möglichkeit, die Productionskosten der Landwirthe wesentlich herabzusetzen, dürsten vielleicht eine größere Geneigtheit und Empfänglichkeit für Reformen, durch welche die Nicht-Landwirthe kaum etwas zu verlieren hätten, erzeugt haben.

Endlich wird bei Normirung und Durchführung der obigen Reform­gedanken zwischen den großen und mittleren Gütern möglichst wenig zu unter­scheiden sein. Die großen Grundbesitzer haben das richtig erkannt, indem sie in der letzten Agrarconserenz immer wieder betonten, daß bei Anwendung des Anerbenrechts, bei Durchführung der Schnldentlastung und Ziehung der Ver­schuldungsgrenze kein Unterschied zwischen Ritter- und Bauergutsbesitzern ge­macht werden möge. Doch genügt es nicht, diesen Gedanken in Worten auszu­sprechen; er muß auch bethätigt werden, wo immer eine Gelegenheit sich dazu findet. So hat es auf die bäuerliche Bevölkerung Hannovers entschieden günstig gewirkt, daß ein Theil der Rittergutsbesitzer keinen Anstand nahm, seine Rittergüter ebenfalls in die Höserolle einzutragen, während solches in Altpreußen nicht geschehen ist.

Ich schließe meinen Bericht mit dem Wunsche, daß es dem in Aussicht genommenen engeren Ausschuß der Konferenz, sowie dieser selbst bei ihrer nächsten Zusammenkunft gelingen möge, das vorläufig nur in den Grundzügen entworfene Bild weiter auszuführen und zum Gedeihen der preußischen Land- und deutschen Volkswirthschaft dereinst verwirklicht zu sehen.