Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

Stelle als Lehrer an der höheren Bürgerschule in seiner Vaterstadt ein, mußte sich mit einer geringen Besoldung begnügen, und als Frau und Kinder seinen Hausstand vergrößerten, Romane, Novellen und Gedichte in die Welt schicken, um seine Einnahmen zu vermehren. Gelegentlich führte er artille­ristische Zeichnungen sür den in Hamm gefangenen Prinzen Louis Napo­leon aus, eine Thatsache, von der er mir häufig erzählte. Dabei war es plötzlich um seine Ruhe geschehen, als er in dem kleinen städtischen Museum einen bunt bemalten und mit Hieroglyphen bedeckten Sarg entdeckte, dessen geheimnißvolle Zeichen er zu lösen sich entschloß. Mit diesem Mumienkasten beginnt die Geschichte Mariette's, der nach seinem am 18. Januar 1881 erfolgten Hinscheiden der höchsten bürgerlichen Ehre theilhaftig wurde. Seine dankbare Vaterstadt errichtete ihm eine Broncestatue in ihren Mauern, um das Gedächtniß an ihren hervorragenden Sohn der Mit- und Nachwelt zu er­halten. Ausangs freilich erging es ihm so traurig, wie es häufig großen Geistern ergangen ist, wenn tägliche Sorge die ganze Kraft im Kampfe um das Dasein herausfordert. Der Schulmeister begab sich in das Reich des Un­gewissen, indem er damit begann, sich in den Besitz von Werken zu setzen, welche altüghptische Gegenstände, vor Allem die Schrift, vom wissenschaftlichen Standpunkte aus behandelten. Der Franzose Champollion le jeune, der Engländer Birch und unser Landsmann Lepsius waren die einzigen Ge­lehrten, welche sich damals mit diesen Studien eingehender beschäftigt hatten. In Kurzem hatte Mariette eine genügende Kenntniß des Inhalts der damals noch jungen ägyptischen Wissenschaft gewonnen, um einem Anträge entsprechen zu können, der von der Verwaltung der Museen in Paris durch Vermittelung eines treuen Freundes, des Herrn de Long Porter, wider Vermuthen an ihn gerichtet worden war.

Die ägyptische Sammlung im Louvre befand sich zu jener Zeit in einem Zustand unglaublichster Unordnung und Vernachlässigung, und es bedurfte langer und zeitraubender Arbeiten, um die einzelnen Gegenstände zu classi- ficiren und in einem Cataloge zu beschreiben. Mariette erhielt den An­trag, sich dieser Aufgabe zu unterziehen, die in wenigen Monaten zu voll­enden war, gegen ein Honorar von 166 Francs und 66 Centimes für jeden einzelnen Monat. Der junge Familienvater arbeitete unablässig in den wich­tigen ägyptischen Schätzen der Sammlung und fand reichlich Gelegenheit, durch die eingehende Beschäftigung mit den Denkmälern seine Kenntnisse einer­seits zu verwerthen, andererseits aber beträchtlich zu vermehren. Dennoch reichten die geringen Mittel, die ihm zu Gebote standen, nicht aus, um seine Familie in der Ferne zu erhalten und seine eigenen Auslagen in Paris zu bestreiten. Alle Mittel und Wege, seine Einnahmen zu erhöhen, schienen ihm recht, so sein Anerbieten, gegen Baarzahlung einige der ägyptischen Papyrus- rollen in den Sammlungen des Louvre aufzukleben, was ihm amtlich freilich verweigert wurde,da der Beschluß gefaßt worden sei, daß Herr Mariette keine andere Beschäftigung, welche vom Museum bezahlt würde, übernehmen könne, nachdem er gegen monatliche Zahlung in Verwendung gekommen." Er ließ sich dennoch nicht entmuthigen, sondern setzte seine Arbeiten in aller Ruhe