Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

Ich habe vor einiger Zeit recht schlimme Geschichten hier gehabt. Thatsache ist, daß ich mit meiner Besoldung vom Louvre allein nicht mehr im Staude bin, zu leben und süns Kinder zu erziehen. Alles ist schrecklich theuer, und Paris ist nur noch sür die goldene Welt mit 20 000 Franken Rente geschaffen. In Ver­zweiflung über meine Armuth und am Ende der Hülssquellen und des Muthes hatte ich deshalb den Plan gefaßt, die Wissenschaft aufzugeben und in ein Gewerbe einzutreten, welches mir wenigstens den Lebensunterhalt verschafft. Wie Sie sehen, war dies eine ernsthafte Sache. Zum Glück habe ich sie noch aufschieben können. Aber wenn von heute in einigen Wochen keine Aenderung in meiner Stellung eintritt, werde ich mein Wort halten und Jeden zum Kuckuck schicken."

Am 5. April desselben Jahres erhielt ich die folgende briefliche Nachricht:

Meine Angelegenheit in Aegypten, welche eine gute Wendung genommen hatte, ist plötzlich ins Stocken gerathen. Ich sage Ihnen ein- sür allemal, daß, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, da unten etwas zu erreichen, ich schon vor einiger Zeit meine Entlassung aus dem Louvre gegeben haben würde. Man miß­handelt zu stark die Wissenschaft in Frankreich, und die wissenschaftliche Laufbahn gehört nicht mehr in unsere Zeit hinein. Deshalb ist meine größte Hoffnung, nach da unten zurückzukehren. Der Vicekönig hat mir es versprochen, ebenso Herr Sabatier und Herr de Lesfeps, und ich muß um jeden Preis hin. Meine wissenschaftliche Zukunft liegt dort, das materielle Glück meiner Familie ebenfalls. Ich habe gute Hoffnung, daß die Sache bald zum Ziele kommt. Was Sie betrifft, mein theurer Freund, so schreiben Sie mir, daß Sie bald dorthin gehen werden. Ich beglückwünsche Sie deshalb. Aber beim Schreiben dieser Zeilen stoße ich einen Seufzer aus. Könnten wir uns dort wiederfinden! Dort wäre das Glück! Mit Ihnen Aegypten zu sehen, ist ein Traum, der mir seit langer Zeit vorschwebt! Wird er sich verwirklichen? Ich weiß es nicht. Ich habe kein Glück. Augen­blicklich brauche ich nur einen Plan zu fassen, um Alles um mich Zusammenstürzen zuffehen. Wenn ich wenigstens doch zu leben hätte; aber lassen wir nicht die letzten Zeilen dieses Brieses traurig enden. Um nicht an die Zukunft zu denken, denken wir an die Vergangenheit. Wir sind schon alte Freunde; der gute Gott wird uns wieder zusammenführen."

Und Wir sahen uns im Winter des Jahres 185758 in Aegypten wieder, nachdem Mariette in dem vorangehenden Sommer Frankreich den Rücken gekehrt und mit dem Titel eines General-Directors am Museum in die Dienste des Vicekönigs Sajid-Pascha getreten war. Aus einem Kohlen- fchuppen hatte er in den Monaten der größten Hitze ein Museum geschaffen, das mich bei meiner Ankunft mit wirklichem Entzücken erfüllte. Von hier aus traten wir unsere erste gemeinschaftliche Nilfahrt auf dem Mufeums- Dampfer an, um im Angesicht der Denkmäler alles Leid hinter uns zu werfen.