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Deutsche Rundschau.
Sein eigener, sieggekrönter Vorsatz ward, nicht bloß schwankweis seine Sache vorzutragen wie ein alter Fastnachtdichter und in dreisten Schönbartspielen allen Muthwillen zu treiben, sondern auch die Welt mit Seheraugen anzuschauen, „wie Albrecht Dürer sie gesehn", im erfrischten und erhöhten Stil des sechzehnten Jahrhunderts dessen ernsteste Sagenhelden, Faust und Ahasver, aus neue dramatische oder epische Fahrt zu senden. Er weihte das Reimpaar zum Gefäß für die Bekenntnisse Faust's und Gretchen's, die höchste Genialität wie die innigste Natur. Was den jungen Franken Zu dem fernen Alten hinzog, das war in erster Linie die derbe, gesunde Auffassung des Daseins ohne alle angelernte Künstlichkeit, falsche Bildung, verzärtelte Convention, ausgeprägt in einer unverbrauchten und unpolirten landskräftigen Sprache voll schlagender, saftiger, mutterwitziger Wendungen und blanker Bilder, gerad heraus, eigenrichtig, markig, den zimpferlichen Geschmäcklern ein Aergerniß. Dazu kam die ungemeine Leichtigkeit und Wandelbarkeit einer freilich bei Hans Sachs oft holpernden und stolpernden, auch an stereotype Behelfe gewöhnten Versart, die dem knappen Wurf und den langen Falten der Rede gleichermaßen zu Willen war und nun von ihrem neuen Meister auch leidenschaftliches Anstürmen, geistreiches Bekenntniß und lyrische Weichheit lernte. Goethe idealisirte den Hans Sachs, seine Persönlichkeit, seinen Stil, seinen Vers. Dann mochte er rufen, daß die Welt vor ihm gestanden, „wie Albrecht Dürer sie gesehn", da doch des wackeren, weder in Dürer's Religiosität noch in Dürer's Renaissance eingetauchten Bürgers Poeterei mit dem Größten, was wir seinem zeichnenden und malenden Landsmann verdanken, wenig gemein hat. Goethe schied, wenn er das ihm im Ganzen und Einzelnen wohlvertraute Werk Hans Sachsens Überschlag, manche handwerksmäßige Masse aus und hielt sich an das unvergänglich Tüchtige. So erschien ihm im ersten Weimarischen Winter, beim sachten Abschied von dem Unmaß jugendlichen Treibens und Schaffens, als er mit dem schmiegsamen, bald auch im leis alterthümelnden Reimpaar so gewandten Wieland eine feierliche Rettung unternahm, sein Liebling in einem an genrehaftem Leben und allegorischer Weihe reichen verklärenden Holzschnitt. Diese „Poetische Sendung", den sogenannten Bildergedichten alter Zeit gemäß, doch unendlich überlegen, ziert das Aprilhest des „Deutschen Merkurs" 1776; zwei Gedichte des Hans Sachs, eines an seine erste Frau und die köstliche Legende von St. Peter mit der Geis, folgen; endlich hält Wieland einen treuherzigen Schlußsermon, worein Gedenkzeilen des Görlitzer Schülers Adam Puschmann glücklich verwoben sind. Goethe's Verse sind zuguterletzt, zweiundsünfzig Jahre später, als Kernstück eines Prologs zu Deinhardstein's flacher Komödie im Berliner Schauspielhaus recitirt worden, mit einer matteren und steiferen Einleitung, die aber dauernde Liebe bezeugt und dem Gefeierten so viele Tugenden nachrühmt:
Daß er bis auf den heutigen Tag
Noch für einen Dichter gelten mag.
Hans Sachs ist denn auch, immer von Luther abgesehen und vielleicht von Hutten, der einzige deutsche Dichter des Reformationszeitalters, der weiten Kreisen gegenwärtig erscheint, so daß mit seinem Namen eine klar umrissene,