Heft 
(1894) 81
Seite
236
Einzelbild herunterladen

236

Deutsche Rundschau.

aristokratischen Humanismus entgegen, auch schlichte Männer aus dem Volk ins Gewehr und zum Worte rief; aber wie er bei aller Lebensfreude und Lustigkeit den wüsten Grobianern der Unterhaltungsliteratur fern blieb, so wurde er in den Kreisen der Reformation weder ein trockener Lehrer noch ein liebloser Eiferer. Andächtig belauschen wir, wie dieser Schuhmacher nach Luther's ersten deutschen Schriften seine ganze Muße an ihr Studium setzt, sie sammelt und verarbeitet, durch ihre Gedanken und ihren Ausdruck gestärkt dann seinerseits das neue Priesteramt der christlichen Laien, der Schuster und Schneider, bewährt, und in Prosadialogen, die sich Lessing's und Herder's Lob verdienten, mit einem Chorherrn siegreich disputirt; mochten nun die Papisten die Nase rümpfen über dentollen Schuster", oder ein ander Mal, als er ohne sonderliches Unmaß antirömische Bilderverse ausgegeben, der Stadtrath den Meister rüffeln: solches stehe ihm nicht zu, er möge lieber seines Amtes und Schuhmachens warten. Was ihm Doctor Martinus bedeutete, hat er 1523Die Wittenbergisch Nachtigall, Die man jetzt höret überall" hell singen lassen, aber in mehr als einem Gedicht auch dieSpitzfünd und Schulzenk" der Theologen von seinem friedlichen Glaubensboden gesund abgewiesen.

Um den Grundstock der Lutherschriften sammelte sich nach und nach eine ansehnliche Bücherei, deren Schätze Meister Hans mit Behagen registrirte. Wir besitzen den Catalog, nutzen ihn für die Quellenkunde und fassen allen Respect vor dem Handwerker, der den Pfriem bei Seite legte, um sich die Cento novella (Boccaccio) oder die Odyssee, Kranzens nordische Historien oder den Plutarch, das deutsche Heldenbuch oder die Griseldis vom Brett zu langen. So wurde er ein ungemein belesener Mann und nahm in ein seines Gedächtniß eigentlich Alles aus, was von deutscher Geschichtschreibung, Sittenschilderung und Unterhaltungsliteratur durch den Druck und was von antiken Poeten, Philosophen und Historikern, aber auch von Neulateinern, Italienern u. s. w. durch Uebersetzungen zugänglich war. Dann hebt er gern an:Herodotus, der Kriech verkündt" oder stellt sich eingangs dar, wie er am Abendden Poeten Homerum" liest. Im Vorwort des vierten Folianten kann der Ver­leger nicht Worte genug finden, die Belesenheit diesesLichts und Magisters aller Deutschen Poeten" zu rühmen, und Adam Puschmann schildert uns im Eloginm" von 1576 den altersschwachen Greis, der seine Besucher nur noch durch ein stilles Kopsneigen begrüßen kann, aber aus Pult, Tisch und Bank viel großer Bücher sein" liegen hat.

Diesen Lesestoff hat Hans Sachs unzählige Male ganz mechanisch in Reimpaare umgesetzt, wie die Mühle Alles zermahlt, was man ihr einschüttet. Es war seine Sache nicht, eine Vorlage auf ihren poetischen Gehalt, ihre innere Form, besonders ihre Qualitäten für ein Drama reiflich zu prüfen. So manche zwar ist sein Eigenthum geworden, so manche ein gereimter Roh­stoff geblieben. Das erscheint als Handwerk in Hans Sachsens Kunst, und ein Kritiker, der seinen Vorzügen einsichtiges und beredtes Lob zollt, W. Schlegel sagt in den Berliner Vorlesungen zutreffend:Man erstaunt über seine un­geheure Fruchtbarkeit, aber man muß bedenken, daß er zu dem, was er be­zweckte, in jeder Stunde einsammelte und in keiner guten Stunde feierte, um