Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

und nicht die schlechtesten, den Prof. Max Müller auf das Heftigste angegriffen, weil er dem Prof. Legge gestattet hatte, in der Uebersetzung der in die Samm­lung der heiligen Bücher des Ostens aufgenommenen chinesischen Klassiker das WortShangti" mitGott" zu übersehen.

Der schwerste Vorwurf, der in politischer Beziehung den Missionaren gemacht wird, ist der, daß die Duldung der christlichen Religion China mit Gewalt aufgezwungen worden fei. Diese Behauptung entbehrt, wenigstens theilweise, der Begründung. Der Sah:Wir zeigen allen das gleiche Wohl­wollen," ist ein altes Princip der chinesischen Regierung, von dem sie Christen wie Mohammedanern und Buddhisten gegenüber nur abgewichen ist, wenn sie glaubte, daß die Propaganda derselben eine politische Färbung annähme. Die einheimischen Christen sind oft, mit wie viel Recht oder Unrecht, ist schwer sestzustellen, mit derSecte der Weißen Lilie" und anderen geheimen poli­tischen Gesellschaften identisicirt und deswegen verfolgt worden. Im All­gemeinen kann man sagen, daß die katholischen Missionare, soweit es sich um innere chinesische Angelegenheiten gehandelt hat, sich stets loyal erwiesen haben. Während die protestantischen leider, namentlich zur Zeit des Taipingaufstandes, weniger discret und zuverlässig gewesen sind. In der Unterstellung der Missio­nare unter einen fremden Schutz und ganz besonders in der Thatsache, daß Frankreich diesen Schuh in der Form eines Patronats über die katholischen Missionen überhaupt ausznüben beansprucht und in der That auch über alle, mit Ausnahme der deutschen, ausübt, liegt allerdings für China eine Gefahr, die in den Augen der Chinesen um so größer erscheint, als einerseits Frank­reich bei Ausübung dieses Protectorats unzweifelhaft politische Zwecke verfolgt und andererseits China das Beispiel Annam's und Tonking's vor Augen hat, für welche Länder Missionarfragen die Einleitung und die Veranlassung zur Vernichtung ihrer politischen Selbständigkeit gewesen sind. China hat daher auch 1886 durch die Entsendung eines vertraulichen Agenten des General­gouverneurs Li-hung-chang, Mr. Dünn, an den Vatican die Ernennung eines päpstlichen Legaten oder Nuntius für China angeregt; Papst Leo XIII. zeigte sich dem Plane nicht abgeneigt, und die Frage würde voraussichtlich die von China gewünschte Lösung gefunden haben, d. h. die Unterstellung sämmtlicher katholischen Missionen unter eine geistliche Autorität, während der Schutz der Personen der einzelnen Missionen den Gesandtschaften ihres Landes zugefallen sein würde, wenn nicht Frankreich durch die Drohung mit Repressalien die Verständigung zwischen dem heiligen Stuhl und China zu verhindern ge­wußt hätte.

Einen der schwierigsten Punkte in der ganzen Missionarfrage bildet die Zulassung der Missionare ins Innere und das Recht, sich dort dauernd auf­zuhalten; ein Recht, das sonst keinem Fremden in China zusteht und aus­schließlich auf Artikel VI des französisch-chinesischen Vertrages von 1860 be­ruht. Durch den Vertrag von 1858, Artikel XIII, waren die Missionare mit allen anderen Franzosen gleichgestellt worden, d. h. sie durften sich mit von den Consulaten ausgestellten Pässen zeitweilig ins Innere begeben. Artikel VI des Vertrages von 1860 erwähnt in dem französischen, nach dem Vertrage