Heft 
(1894) 81
Seite
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Ostasiatische Probleme.

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allein maßgebenden Texte der Missionare gar nicht, sondern enthält nur die Bestimmung, daß ein bereits vom Kaiser Taokwang 1846 freiwillig gegebenes Versprechen, nach welchem die den Christen während der Verfolgung weg­genommenen Grundstücke und Gebäude denselben zurückgegeben werden sollten, nunmehr ausgeführt werden solle. Der chinesische Text desselben Artikels ent­halt aber den Zusah, daß es den französischen Missionaren gestattet sei, in allen Provinzen des Reiches Grundstücke zu kaufen oder zu miethen und aus denselben Gebäude zu errichten. Es handelte sich bei diesem Unterschied der Texte aller Wahrscheinlichkeit nach um einen hinter dem Rücken des Bot­schafters Baron Gros auf das Andringen französischer Missionare Seitens der Dolmetscher der Gesandtschaft gemachten unautorisirten Zusatz, dem die Chinesen unter dem Druck der Niederlage ihre Zustimmung zu verweigern nicht gewagt hatten. Als die Chinesen den Sachverhalt entdeckten und sich weigerten, die nicht in dem französischen Text enthaltene Bestimmung anzu­erkennen, kam es zu Verhandlungen mit der französischen Gesandtschaft, die damit endeten, daß im Wesentlichen der chinesische Text aufrecht erhalten, aber hinzugesügt wurde, daß nicht die Missionare, sondern nur die christlichen Ge­meinden im Innern Eigenthum erwerben dürften und den Missionaren be­sondere Gesandtschaftspässe ausgestellt werden sollten. Dies im Jahre 1865 getroffene Uebereinkommen wird gewöhnlich mit dem Namen des damaligen französischen Gesandten, Mr. Berthamy, bezeichnet.

Das den katholischen Missionaren gewährte Recht ist von der chinesischen Regierung auch den protestantischen bereitwillig zugestanden worden, obgleich sie nicht verkennen konnte, daß ihr durch die Ausübung desselben von pro­testantischer Seite viel häufiger und viel größere Angelegenheiten erwachsen würden. Der katholische Missionar ist ein Glied eines festen Gefüges, er untersteht der Autorität des apostolischen Vicars, zu dessen Mission er gehört, und der letztere ist ein seit Jahrzehnten in China ansässiger, mit den Sitten, Gebräuchen und Vorurtheilen des Landes vertrauter Mann, der seine Missio­nare nur aus Plätze stellt, für welche dieselben sich durch ihre Kenntniß der Sprache und sonstige Schulung eignen. Die protestantischen Missionare, ganz abgesehen davon, daß sie vierzig verschiedenen Gesellschaften angehören, sind mehr oder weniger unabhängig: die Gesellschaften, die sie heraussenden, haben ihren Sitz in Europa oder Amerika, und die an Ort und Stelle befindlichen älteren Missionare besitzen oft nicht die erforderliche Autorität, manchmal auch nicht den nothwendigen Takt, um vielleicht lobenswerthen, oft aber schädlichen Eifer zu zügeln. Nimmt man dazu die stets vorhandene Rivalität zwischen Amerikanern und Engländern, so kann man sich nicht Wundern, daß ein Vor­wärtsdrängen entsteht, das zu Conslicten mit Behörden und Volk führen muß und wirklich führt. Ganze Scharen junger Mädchen und Männer kommen aus Amerika und England, seit einiger Zeit auch aus Dänemark und Schweden, die weder die Sprache noch die Sitten des Landes kennen, noch irgend welche Vorbildung für den neuen Berus besitzen; man steckt sie, zum Theil wenigstens, in chinesische Kleidung, und oft in einer die chinesischen Begriffe von Sitte und Anstand aufs Tiefste verletzenden Weise werden dann zehn oder mehr