Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

dieser Mädchen, unter dem Schuhe eines Mannes, ins Innere transportirt. lieber den schlechten Eindruck, der dadurch hervorgebracht wird, kann nur blinder Fanatismus sich hinwegtäuschen, und es wäre an der Zeit, daß die heimischen Leiter der Missionen in dieser, wie in mancher anderen Beziehung die Zügel etwas straffer anzögen. Ein anderer, sehr wesentlicher Uebelstand ist die nicht wegzuleugnende Thatsache, daß viele, wenn nicht alle eingeborenen Christen ihre Beziehungen zu den fremden Missionaren als ein gewisses Schutz- verhältniß ausfassen, das sie ihren heidnischen Landsleuten und den Landes­behörden gegenüber bei religiösen Verfolgungen stets, bei persönlichen Streit­fragen und Angelegenheiten oft anzurufen pflegen. Auch Seitens der Missio­nare wird nach dieser Richtung hin vielfach gefehlt und dadurch eine tief­gehende Erbitterung hervorgerufen, in der die Ursache mancher Ausschreitungen der Bevölkerung und der Behörden zu suchen ist.

Am tiefsten aber greift die Thätigkeit der Missionare in die socialen Be­ziehungen des chinesischen Volkes ein, und hier ist es, wie zur Zeit der Kämpfe zwischen Dominikanern und Jesuiten die Frage der Verehrung der Ahnen, die ebenso, wie sie den Fortgang des Bekehrungswerkes wesentlich beeinträchtigt und hemmt, die Veranlassung zu dem größten Theil aller Streitigkeiten und Zerwürfnisse zwischen Heiden und Christen bildet. Für die katholischen Missionare ist die Frage durch die Bulle Papst Benedict's XIV. tatsächlich er­ledigt; wenngleich viele unter ihnen die Weisheit der getroffenen Entscheidung anzweifeln mögen, so hat doch Jeder sich eidlich verpflichtet, derselben gemäß zu handeln. Die überwiegende Mehrzahl der protestantischen Missionare steht auf dem päpstlichen Standpunkt. Bei der Konferenz von 1890 machte vr. Martin, der Präsident der sogenannten Peking-Universität, des Icking >vsn U^van, und ein ebenso gebildeter wie mit den chinesischen Verhältnissen ver­trauter Mann, den Versuch, eine Berücksichtigung der chinesischen Ausfassung der Frage herbeizuführen, entging aber selbst nicht der schärfsten Verurteilung, die sich in einem mit allen gegen zwei Stimmen abgegebenen Votum der Ver­sammlung aussprach.

Die religiöse Seite der Frage zu erörtern, ist hier nicht der Platz, obgleich es seltsam erscheinen mag, daß eine Religion, zu deren Geboten dasEhre Vater und Mutter, auf daß es dir Wohl gehe und du lange lebst auf Erden" gehört, nicht Mittel und Wege finden sollte, sich auf dieser Grundlage mit der chinesischen Auffassung zu verständigen. Die Verehrung der Ahnen ist aber nicht nur geistig der Mittelpunkt, um den sich das Familienleben und die gemeinsamen Interessen des Geschlechts gruppiren, die in China eine so große Rolle spielen. Der Ahnensaal ist der Versammlungsort, an dem die Fragen erörtert und entschieden werden, die auf das Wohl und Wehe des Geschlechts Bezug haben; er enthält die Familienregister und Archive des Geschlechts, und der dem Geschlecht gemeinsame Besitz hängt eng mit ihm zusammen. Sich von der Verehrung der Ahnen lossagen, heißt für den Chinesen aus Familie und Geschlecht ausscheiden, d. h. mit Allem brechen, was ihm seit Jahr­tausenden das Werthvollste erscheint. Schwieriger wird die Frage noch, wenn der aus der Familie und dem Geschlecht Ausgetretene Ansprüche auf den