Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

Die Liu-kiu-Jnseln entrichteten, wieAehnliches bei vielen asiatischen Staaten der Fall war und ist, seit 1609 gleichzeitig Tribut an China und Japan, d. h. eigentlich an den Prinzen von Satzuma, dessen Truppen in dem Jahre einen erfolgreichen Angriff aus die Inseln gemacht hatten. Im Jahre 1872 befahl die japanische Regierung dem König von Liu-kiu, einen Gesandten nach Tokio zu senden, dem dort mitgetheilt Wurde, daß die japanische Regierung dem Könige die Investitur als Herrscher von Liu-kiu ertheile und in Zukunft eine directe Controle über die Verwaltung der Inseln ausüben werde. Der König protestirte gegen diese Vergewaltigung, sah sich aber genöthigt, die In­vestitur anzunehmen, unter der von Japan zugestandenen Bedingung, daß da­durch weder an der Verfassung noch an der Regierungsform der Inseln etwas geändert werden solle. In Uebereinstimmung hiermit gingen 1872 und 1874 die gebräuchlichen Tributgesandtschaften auch nach China; 1875 aber verbot die japanische Regierung die Fortdauer dieser Beziehungen zu China, was, wie es in dem Protest des Königs von Liu-kiu heißt, von dem ganzen Volke als ein Treubruch Seitens der Japaner angesehen wurde. Die japanische Regierung antwortete 1876 aus diesen Protest und auf den ausgesprochenen Wunsch der Bevölkerung, daß nichts an den Jahrhunderte langen Beziehungen geändert werden möge, mit der Mediatisirung und Fortführung des Königs nach Tokio und der Einverleibung des Landes als des 36. Regierungsbezirkes. Die chinesische Regierung war durch dieses Vorgehen Japan's tief verletzt; sie suchte die Vermittlung des auf einer Reise um die Welt begriffenen früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten, General Grant, nach, die aber er­folglos blieb.

Die Expedition nach Korea ist also nicht die erste Gelegenheit, bei der Japan historische Ansprüche China's mißachtet hat. Kein militärischer oder politischer Erfolg, kein dem in seiner Hauptstadt gefangen gehaltenen König von Korea abgepreßtes Zugeständniß, keine diplomatischen Spitzfindigkeiten können über die Thatsache täuschen, daß Japan unprovocirt, nur um seinen eigenen selbstsüchtigen Interessen zu dienen, mitten im Frieden über ein Nach­barland hergesallen ist, von dessen Volk es tief gehaßt wird, und dessen Re­gierung es nicht gerufen hat. Diesen Thatsachen gegenüber bleiben alle Vor­wände von der Befreiung Korea's, das nicht befreit sein will, und der Ein­führung von Reformen, die auch aus unblutigem Wege hätten erzielt werden können, bedeutungslos; das Vorgehen Japans erinnert vielmehr an dasjenige Richelieu's, Ludwig's XIV. und Napoleon's I. gegen Deutschland, dem ebenfalls die Vertheidigung der deutschen Libertät als Vorwand dienen mußte. Auch der Vergleich Chinas mit dem Römischen Reich deutscher Nation hinkt weniger, als es vielleicht im ersten Augenblick den Anschein haben dürfte, wenn auch die in dem letzteren ihren persönlichen Interessen dienenden Fürsten und Städte in dem ersteren durch Gouverneure und Generalgouverneure dargestellt Werden.

Durch Japan in einen Kampf verwickelt, den es nicht gesucht und nicht vorhergesehen hat, wird sich China allmälig der Unzulänglichkeit seiner mili­tärischen Organisation bewußt und, wie es meistens in solchen Krisen der