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Deutsche Rundschau.
zu. Denn was wir sehen, ist jene Welt, die Schiller mit den Gebilden seiner Phantasie bevölkert hat. Und indem wir es sehen, werden wir sogleich selbst hineingezogen in die Welt, die er „zur Idee erhoben hat", die ihm (mit dem Epilog zur Glocke zu reden) auch „verdankt", d. h. dankt, „was erste gelehrt". Von der Bühne her vernehmen wir solche Bekenntnisse.
Seine durchgewachten Nächte
Haben unfern Tag gehellt
erklingt es aus dem Jugendchor der „Studirenden", und unter den Kriegern sollte der Kürassier (Goethe hat gleich den Namen des Schauspielers Haide eingetragen, dem von der ersten Aufführung des „Lagers" an diese Rolle zu- getheilt war) die muntere Weise des Reiterliedes anstimmen. Schiller's tapfere, freudige Seele lebt ja so recht in diesem Liede und jener Idealismus der That, der für die höchsten Güter das Leben einsetzt. Ihn feiert der Epilog zur Glocke:
Er wendete die Blüthe höchsten Strebens,
Das Leben selbst, an dieses Bild des Lebens —
und diesen Sinn hätten Wohl auch die neuen Strophen ausgesprochen, die Goethe hier einlegen wollte. So deuten schon die ersten Spuren der Aufführung auf einen Lobpreis Dessen, der im Reiche der Erkenntniß und des Sittlichen die Seinen zum Höchsten hingeführt hat.
Betrachten wir nun das ideale Publicum genauer, das die Bühne füllt. Mannigfaltig gegliedert nach Alter, Geschlecht, Berus und Beschäftigung, ist es ein Abbild der Gesammtheit. Aus dem klassenhast Allgemeinen aber, das solche Gruppen sonst zu haben pflegen, sollte sich hier lebensvoll das Persönliche erheben, und zwar nicht in der gewöhnlichen individuellen, sondern in erhöht typischer Bedeutung. In solchem Sinne sind die Charakterfiguren aus Schiller's Dramen gewählt. Thekla und Bertha führen die „Mädchen, die ihrer Würde bewußt sind"; im Chor der Greise sollte Attinghausen stehen, nicht als der Lebensmüde, dessen Zeit „schon unter der Erde ist", sondern als der Seher, dem die Seele voll ist von der künftigen Größe des freien Vaterlandes. In dieser Gruppe übrigens (von den Handwerkern aus der „Glocke" abgesehen) ist Goethe aus dem Bereich der Dramenschöpfung Schiller's herausgeschritten; denn wenn er hier auch „Gesetzgeber" einsühren wollte, so hat er an die Gestalten des Moses, Lykurg und Solon gedacht, die er in den historischen Aussätzen der Thalia von l790 gezeichnet fand; den Aufsatz über „Lykurg und Solon" hat er, wie Körner, für eine eigene Arbeit Schiller's gehalten.
Welchem Anlaß aber gilt der Aufzug und Gesang dieser Chöre, gilt ihr „festliches Kommen und Darbringen" ? Hieraus antwortet Goethe's Brief an Zelter. „Zur Feier des Geburtstags uusers Freundes" ist das Stück bestimmt, vertraut er dem musikalischen Freunde und Beistände an. Am Geburtstage opferte man im Alterthum dem Genius; auch die Freunde thaten das. Ein Altar des Genius, etwa mit Schiller's Bild, konnte aus der Bühne sichtbar sein. Und wäre dies auch nicht zu denken, so haben sich doch, jener Idee gemäß, am Lebenstage, dem „äws Mnialis", die Kinder seines Geistes und die