Zum zehnten November. 283
Empfänger seiner Gaben zum Festchor versammelt, um seinem Genius eine Huldigung zu bereiten.
Dies der Inhalt der „mimischen Entreen" und Wohl auch des Titels, der in Zelters Register sich anschließt: der Exposition. Das Wort steht in lateinischer Schrift da, bezeichnet somit, aller Wahrscheinlichkeit nach, einen selbständigen, materiellen Bestandtheil der Dichtung; denn der Hinweis, in jenen „Entreen" sei eben die sogenannte Exposition des Dramas gegeben, wäre, Zelter gegenüber, ganz müßig gewesen, und ein müßiges Wort kann in der sorgsam überlegten, knapp gefaßten Uebersicht nicht Vorkommen. „Exposition" ist nicht unterstrichen, d. h. der Componist hatte mit dieser Partie nichts zu thun. In dem figürlichen Schema befindet sich an entsprechender Stelle (I) das Wort „Einleitung". Bedeutet es, zwischen den „Chören", ein gesprochenes Stück? Merkwürdiger Weise hat Goethe gerade in der Correspondenz mit Zelter das Wort im gleichen Sinne gebraucht. Im Verfolg von Belehrungen, die er dem Freunde über den antiken Chor ertheilt (Juli, August 1803), erinnert er an eine primitive Gestalt des musikalischen Dramas, die sich in der katholischen Kirche erhalten habe, das Absingen der Leidensgeschichte in der Charwoche. „Drei Personen und der Chor (turda) stellen das Ganze dar-" Er räth, es auf diesem Wege mit eigener Composition zu versuchen, jedoch unter einer zweckmäßigen Abänderung. „Verweisen Sie die Function des Evangelisten bloß auf den Anfang hin, so daß er eine allgemeine historische Einleitung als Prologus spreche, und machen, durch Kommen und Gehen, Bewegen und Handeln der Personen, die von ihm gegenwärtig emanirenden Zwischenbestimmungen unnütz; so haben Sie schon ein Drama recht gut eingeleitet." (Briefwechsel 1, 72). Sollte in gleicher Weise etwa hier die Würde des Tages, der Zweck der Feier noch besonders von einem Sprecher dargelegt werden?
Kehren wir jedoch nun von Vermuthung und Frage zur Anschauung Zurück. Diese „heitere" Feier gilt einem Lebenden. Der Mann, den diese festlichen Chöre feiern, weilt noch im Lichte des Tages. Ich möchte das nicht Fiction, poetische Redesorm nennen. Für Goethe war es innerliche Wahrheit. „Dem Tode zum Trutz", wie er sagt, hat er getrachtet in seiner Weise, thätig, gemeinsam Begonnenes weiterführend, die Unterhaltung mit dem Freunde, ein geistiges Zusammenleben sortzusetzen. Und ist es nicht Wahrheit überhaupt, im einfach menschlichen Sinne? Die Liebe überwindet den Tod. Was man nicht ausgibt, hat man nicht verloren. Auch der Epilog zur Glocke ruht, in seiner Eingangsstrophe, aus dieser Vorstellung. Das Landessest wird geschildert, zu dem der Dichter die schönste Gabe, die „Huldigung der Künste", gespendet. „Da hör' ich schreckhaft mitternächtig Läuten" — und nun tritt die Katastrophe ein.
So auch hier. Furchtbar kündet sich, mitten in den Spielen der Freude, „im lebensregen Drange", die höhere Gewalt an. Ein Donnerschlag erdröhnt. Jedem ist die Symbolik dieser Natursprache verständlich, Goethe hat sie einmal poetisch erläutert, indem er, im „Maskenzuge" von 1818, mit feierlichen Strophen die „Braut von Messina" einsührt.