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Deutsche Rundschau.
Zweiter Auftritt.
„Gattin und junges Chor".
Die Menge, die erst gruppenweise den Raum einnahm, hat sich in zwei Massen getheilt: in den „Chor der Jugend" und den „Chor der Alten" H. Mit jenem tritt, von der linken Seite, heran „die Gattin, sich und die Kinder darstellend". Aus die angeführten Worte folgt in Goethe's Niederschrift (Blatt 3) eine aus den ersten Blick inhaltlose Zeile: „ist genug gesagt". Wie es scheint, der Schlußaccent zu der ersten Rede der Trauernden. „Wie ich hier dastehe, bin ich ein Bild der Klage; euch, die ihr mit mir fühlt, ist schon damit genuz gesagt." Ausblickend erkennt sie die idealen Gestalten, die dramatischen Gebilde Schiller's:
Alles ist das Werk des Gatteu,
Was von Leben uns umgibt.
Aber sie versinkt wieder in die Tiefe ihres Leides. Ein einzelnes Wort: „Hülslosigkeit", und dazu eine Zeile
Soll ich ihm nicht mehr das leisten?
geben, Wie sie zusammen gehören, diesen Gang der Empfindung zu erkennen. Mit dem Gatten ist ihr des Hauses Stütze genommen und der theuerste Gegenstand einer in Pflege und Fürsorge beseligten Liebe. Tröstend entgegnet ihr der Tod:
Das Gute, was man Liebenden erzeigt,
Belohnet sich in dieser ernsten Stunde. —
„Kasignete, die Gattin". Vielleicht entsprach das griechische Wort gerade dem Sinne des Dichters. Einst hatte er, was ihn zu seiner Charlotte, der Seelensührerin zog, in die Worte gefaßt:
Ach, du warst in abgelebten Zeiten Meine Schwester oder meine Frau.
Aus seiner geistigen Höhe wird das Verhältniß der Gatten ein geschwisterliches. So wird es, oder bleibt es, wenn der Tod die Liebenden getrennt hat.
Dritter Austritt.
„Freund und älteres Chor".
Von der rechten Seite der Bühne bewegt sich der Chor der Alten heran, und an seiner Spitze „der Freund". Das Grundmotiv ihrer Klage ist angegeben in drei Zeilen, die sich erst zu Versen bilden wollen:
Wer reicht mir (zuerst: unsf die Hand beym Versinken ins Reale?
Wer gibt so hohe Gabe?
Wer nimmt so freundlich an, was ich zu geben habe?
Die Erwiderung des Todes faßt Goethe zuerst in eine Zeile zusammen: _ Der tranre, der den Lebenstag versäumt.
') Goethe schreibt: „Das Chor"; „älteres Chor".