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Deutsche Rundschau.
Weshalb? Wodurch? Noch ein Mal drängt sich hier der Ausdruck jener großen Doxologie herzu und bietet sich von selbst ergänzend zur Antwort dar:
Denn hinter ihm, in wesenlosem Scheine,
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine.
Die beiden Austritte „Gattin und junges Chor" — „Freund und älteres Chor" bilden seelisch wie in ihrem Ausbau ein Ganzes. Sie sollten, als ein Solches, abgeschlossen werden durch eine lyrische Partie, einen Threnos, nach dem Kunstausdruck der griechischen Tragödie, in welchem die beiden Chöre einander „entsprachen". Dies jedenfalls bedeutet die Angabe: „Klagen im abwechselnden Chor".
Vierter Austritt.
„Deutschland" (Vaterland) H.
Bis jetzt hat das rein menschliche Gefühl gesprochen; jetzt erweitert sich gleichsam der Raum, und Gestalten treten ein, die das Maß des Persönlichen überragen. Die erste unter diesen hehren Erscheinungen ist das Vaterland, im Prachtgewand, reich geschmückt mit den Wappen der deutschen Länder. Was hatte Deutschland an dieser Stelle zu sprechen? Goethe hat folgenden Gedankengang ausgezeichnet:
Dünkt sich höher als die Einzelnen Lob des Emporstrebens Werth vieler Werth der einzelnen Vorsprache.
Ich versuche es, diese Zeilen auszulegen und in directe Rede umzusetzen. „Mächtiger Gott, Hartherziger, du hast Gattin und Freunde nicht erhört, ich aber messe mir einen höheren Werth bei. Meine Stimme ist die Stimme der Gesammtheit. Gib mir den herrlichen Mann, den du eben in der Blüthe höchsten Strebens entraffen Willst. Zu immer höheren Höhen wird sich sein schaffender Genius schwingen, und sein Volk wird er mit Macht sich nachziehen. Mehr als die Menge, weit mehr gilt ja der Eine, der sie leitet und beseelt. Solch ein Führer zum Bessern ist er uns gewesen. Ihm ist das Leben, die Mitwelt noch Vieles schuldig geblieben. Lange hat er mit der Ungunst des Geschickes gerungen; zu den Glücklichen, denen die Gnade der Himmlischen mühelos das Schönste reicht, hat er nicht gehört. So höre du nun meine Fürsprache und nimm sie an. Du rettest Viele, indem du den Einen verschonst."
Ich darf mich für einen wesentlichen Theil dieser Auslegung aus Goethe selbst berufen. Er hat das Thema „Werth Vieler, Werth der Einzelnen" schon in der „Natürlichen Tochter" behandelt. In den Worten des Königs zu Eugenie:
Wenn dir die Menge, gutes edles Kind,
Bedeutend scheinen mag: so tadl' ich's nicht;
Sie ist bedeutend, mehr noch aber sind's Die Wenigen, geschaffen, dieser Menge _ Durch Wirten, Bilden, Herrschen vorzustehn.
i) Die erste Ueberschrift „Vaterland" ist nicht gestrichen, sondern mit Blei ist darüber gesetzt „Deutschland".