Zum zehnten November.
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Und wenn sich der Wortlaut des voranstehenden Versuchs augenfällig an bekannte Gedichte Schiller's (Das Glück, Der Genius) anlehnt, so ist auch darin nichts Willkürliches. Der Ausleger wird mit Freuden nutzen, was einst dem Dichter Anregung geboten hat. Goethe hatte, wie Wir wissen, in Lauchstädt ein von Frau von Stein entliehenes Exemplar von Schiller's Gedichten, Band I (mit der „Glocke"), bei sich, sonst aber hatte er „in Hoffnung, selbst thätig zu sein", wie er an Fr. A. Wolf am 30. August schreibt, „gar keine Bücher mitgenommen". Anklänge an Schiller's Sprache sind im Epilog, ebenso auch hier und da in Versen und im Entwurf unseres Dramas vorhanden. Jene beiden Gedichte aber stehen im ersten Bande, gleich aus dem zweiten Bogen, beisammen H. Das Schlußwort der „Vorsprache" (Fürsprache) endlich, für welches die Skizze keinen Anhalt bietet, ist gesichert durch die Entgegnung des Thanatos:
Ungleichheit des Geschicks nicht ungerecht wegen Gleichheit des Nothwendigen.
Der Gott verweist auf „der Nothwendigkeit stilles Gesetz, das stetige, gleiche". Auch hier lenke ich wieder in Schiller's Worte ein — Worte aus dem Gedichte „Der Genius", oder, wie es zuerst betitelt war, „Natur und Schule". Denn es ist das gemeinsame Credo beider Freunde, das hier zum Ausdruck gelangt. „Uebrigens bekommt es uns ganz Wohl, daß wir mehr an Natur als an Freiheit glauben und die Freiheit, wenn sie sich ja einmal ausdringt, geschwind als Natur tractiren; denn sonst wüßten wir ja gar nicht mit uns selbst fertig zu werden." Goethe an Schiller, 5. Juli 1803. Von diesem Standpunkte haben sie beide die Schicksale der Völker und der Einzelnen betrachtet. So das Geschick Ludwig's XVI., den Zusammenbruch der alten Ordnungen in Frankreich. „Man sieht in dieser ungeheuren Empirie nichts als Natur," schreibt Goethe nach der Lectüre von Soulavie's Memoiren, „und nichts von dem," (setzt er scherzend hinzu) „was Wir Philosophen so gern Freiheit nennen möchten." Im Zusammenhänge des großen Ganzen soll man nun auch des Freundes Geschick, als ein mit seinem Wesen, mit dem rastlosen Vorwärts! seiner Natur nothwendig gegebenes verstehen und sich darein finden lernen.
Es folgen auf der nämlichen Seite Verse oder Versversuche, die, hin und her gewendet, einen dem Fortgang der Rede des Thanatos zugehörigen Gedanken wiedergeben:
Von deinen Schildern darf das Rad allein,
Es darf allein der Rautenkranz sich zeigen.
Zwei Sterne ....
Jndeß der ganze Himmel sich
Theilnahmlos
0 Den Hinweis auf den mitgenommenen Gedichtband (Gedichte von Friedrich Schiller. Erster Theil. Leipzig 1804) danke ich der Abhandlung „Goethe's Epilog zu Schiller's Glocke" in der Zeitschrift für „Deutsche Philologie", Bd. XXVI, S. 81—405, 1893, einer vortrefflichen exegetischen Gabe Heinrich Düntzer's. Ter Einfluß von Schiller's Sprache zeigt sich sogar in den kurz schematisirten Reihen: „Mädchen, ihrer Würde bewußt", nach „Würde der Frauen", I, 330.
Deutschs Rundschau. XXI, 2.
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