Heft 
(1894) 81
Seite
291
Einzelbild herunterladen

Zum zehnten November. 291

die Überschriften enthält, und diese Zeilen gehören der Rede der Poesie an. Zuerst die Ansätze:

Das können tausend . . .

Durch einen nur kann ich reden . . .

Nur durch den Einen kann ich reden.

Dann der gelungene Guß:

Von tausend Lippen fließt die Weisheit hier;

Mein Wort kann ich nur Wenigen vertrauen.

Nur Wenigen; einst hatte Goethe aus den erwählten Fels in seinem Garten die Worte gesetzt:

Dir allein verleih' ich die Stimme, wie unter der Menge Einen die Muse sich wählt, freundlich die Lippen ihm küßt.

Er zumeist ist es gewesen, der den Freund in der Ueberzeugung beglaubigt hat, zu der Zahl der Auserwählten zu gehören, der ihn in den Wetteifer des dichterischen Schaffens hinein- und damit von der Philosophie abgezogen hat, deren Vorwalten, wie er später aussprach, Schiller's poetischer Production Eintrag gethan. In dem gemeinsamen Xenienwerke steht denn auch das jetzt erst bekannt gewordene Distichon Schiller's, das, an Kant gerichtet, die knappe und entschiedene Absage bringt:

Zwey Jahrzehende kostest du mir; zehn Jahre verlor ich,

Dich zu begreifen, und zehn, mich zu befreyen von dir. >

Die Weisheit schweigt und geht ab. Der Poesie bleibt das letzte Wort. Dichtung allein". Es gebührt ihr, den Hörer über das Gefühl der Ver­gänglichkeit zu erheben und den Nachruhm ihres Lieblings, fein Fortleben bei den fernsten Geschlechtern zu verkünden. Ihm geschieht, wie er geglaubt hat:

Du, himmlische Muse,

Trägst, die dich lieben, die du liebst, in Mnemosynens Schoß.

Jetzt verläßt Thanatos die Bühne, um den nächtlichen Weg zu wandeln mit dem Abgeschiedenen. Die Scene ändert sich.Verwandlung zum Kata­falk" (Zelter's Blatt). Während sie sich vollzieht, stimmt der gesammte Chor denTrauergesang" an, oder, wie es im Entwurf der zehn Blätter heißt, die Nänie". Es ist dies der alte Name für den Leichen- oder Grabgesang. Aber hier ist er doch Wohl gewählt im Gedanken an Schiller's eigenes GedichtAuch das Schöne muß sterben," das eben diese Ueberschrist trägtH:

Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,

Wenn er, am Mischen Thor fallend, sein Schicksal erfüllt.

Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,

Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.

Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,

Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.

Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich,

Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

9 Schiller's Gedichte, Bd. I, S. 325. 1804.