Heft 
(1894) 81
Seite
294
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Mus den Tagebüchern Wodor von Aernhardi's's.

Nach dem Tode König Frederik's VII. von Dänemark.

^Nachdruck untersagt.s

Am 5. November 1863, zehn Monate nach Ausbruch des polnisch-russischen Ausstandes und zehn Tage vor dem Tode König Frederik's VII. von Dänemark, hatte Napoleon III. die Session der Pariser parlamentarischen Körperschaften mit einer Rede eröffnet, die unter Anderem den nachstehenden, in ganz Europa mit höchstem Interesse aufgenommenen Satz enthielt:

Da die Verträge von 1815 zu bestehen aushören, kann nichts vernünf­tiger erscheinen, als die Einberufung der Mächte Europa's zu einem Kongreß zu einem obersten Schiedsgericht über alle obschwebenden Fragen."

Unter demselben Datum war von der französischen Regierung an die sämmtlichen Monarchen des Welttheils die Einladung zum persönlichen Er­scheinen in Paris und zur Abhaltung eines Congresses gerichtet worden.

Bei der damaligen Weltlage konnte für ausgemacht angesehen werden, daß der französische Kaiser sich dafür rächen wollte, daß England und Oester­reich seinen Versuch, zu Gunsten Polens zu interveniren, anfänglich unterstützt, im entscheidenden Augenblicke dagegen preisgegeben hatte und daß die Spitze des Vorschlages vom 5. November sich gegen das Wiener Cabinet richtete.

Rußland, Oesterreich und England zögerten mit der Antwort, obgleich sie in der Stille entschlossen waren, die französische Einladung abzulehnen: Ruß­land, weil es noch mit Niederschlagung des polnischen Ausstandes beschäftigt und über Napoleon's polenfrenndliche Velleitäten erbittert war; England, weil es der weiteren Ausbreitung des französischen Einflusses aus die continen- talen Dinge in den Weg treten zu müssen glaubte; Oesterreich, weil es durch­sah, daß der neue Schachzug des Imperators dem Reste seines italienischen Besitzstandes gelte. Die kleineren Höfe hatten bereitwillig angenommen, während Preußen (zum Mißvergnügen des Wiener Cabinets) zur Antwort gab, daß prin- cipielle Bedenken gegen den Vorschlag nicht beständen, gewisse Einzelheiten in­dessen noch der Erwägung bedürften; es werde zweckmäßig sein, ein vorgängiges Einverständniß der fünf Großmächte herbeizuführen und statt der Souveräne

r) Vergl. Deutsche Rundschau, 1894, Bd. I.XXX, S. 96 ff. und S. 214 ff.