Heft 
(1894) 81
Seite
297
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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardi's.

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Ich kann aber nicht gut zu Roon gehen, um über ernste Angelegenheiten mit ihm zu sprechen, da ich ihm noch keinen Höflichkeitsbesuch gemacht habe, und außerdem ist die Frage, ob ich ihn träfe. Ich entschließe mich also, ihm einen ausführlich aus die Sache eingehenden Brief zu schreiben. Und zwar sogleich; denn was überhaupt geschehen soll, muß augenblicklich geschehen, sonst werfen sich die außerdeutschen Großmächte mit Protesten dazwischen.

19. November 1863. Eine über alle Erwartung freundschaftliche Antwort von Roon, noch gestern Abend geschrieben:Ew. Hochwohlgeboren meinen verbindlichsten Dank für Ihre heute empfangenen freundlichen Zeilen aus­sprechend, verzichte ich zwar aus die schriftliche Discussion der von Ihnen be­rührten Fragen; ich werde mich indessen freuen, wenn Sie mir, bei Gelegen­heit eines vertraulichen Besuchs, recht bald Anlaß zu einem Gedankenaustausch geben wollen. Sie kennen ja die Stunden, in denen ich von meinen gewöhn­lichen Geschäften minder bedrängt zu sein Pflege."

Dropsen kommt zu mir; auch er ist politisch thätig und sucht die Sache der Herzogtümer in Gang und die Regierung dahin zu bringen, daß sie energisch die Initiative darin ergreift daß sie die Gunst des Augenblicks begreift und ergreift. Er bearbeitet den ünterstaatssekretär v. Thile, bei dem er Zutritt hat und Gehör findet. Dei: weiß aber von gar nichts, ist in der deutsch-dänischen Streitfrage ganz und gar nicht orientirt und verwundert über Alles, was er durch Droysen davon erfährt.

Dropsen hegt für den Fall, daß der Augenblick nicht gehörig benutzt wird, Besorgnisse, die ich nicht in demselben Grade und Umfange theile; er meint: werden die Herzogtümer jetzt nicht vollständig gewonnen, so gehen sie für immer verloren. Noch ist die Bevölkerung gut deutsch gesinnt läßt man sie aber auch diesmal im Stich, so geben sie die Sache verloren und gehen mit Sack und Pack in das dänische Lage über, um auf diese Weise aus einer unerträglichen Lage heraus zu kommen, und es vergehen nicht vierzig Jahre, so sind das enragirte Dänen.

Und dann! ist erstdas norddeutsche Elsaß" verloren, dann folgt auch das norddeutsche Straßburg" nämlich Hamburg, das sich ganz von Dänemark umfaßt, dänischer Herrschaft auf die Länge nicht entziehen kann!

Ich klage darüber, daß aber auch mit unseren Liberalen, mit den Vernünf­tigsten und Besten unter ihnen, gar nichts anzufangen ist auf dem Gebiet wirklicher Politik; es fehlt ihnen durchaus der staatsmännische Blick für die Bedeutung der Dinge und der Maßstab dafür; die Angelegenheit der Herzog- thümer geht fast unbemerkt an ihnen vorüber; sie find verloren in lauter Lappalien, Ausschreitungen eines Landraths und dergleichen.

Droysen erzählt noch:Wissen Sie, was Schwerin gesagt hat, als er den Tod des Königs von Dänemark erfuhr? Er sagte:Bismarck hat Glück! nun kommt er um die Execution herum!"

Nach Tisch Max Duncker bei mir. Der ist natürlich vor Allem energisch thätig in der Sache der Herzogthümer. Er ist mit Schleinitz in gutem Vernehmen geblieben Schleinitz ist der Einzige aus der früheren Periode, der mit dem König über Politik sprechen kann; er ist gescheidt, hat