Heft 
(1894) 81
Seite
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Das Kunstgewerbe auf der Berliner Kunstausstellung.

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Aber so viel ist klar: wenn ein kunstgewerbliches Stück in Gemeinschaft mit Gemälden und Sculpturen ausgestellt werden soll, so müssen seine berechtigten An­sprüche viel höher sein, als etwa in einer Gewerbeausstellung. Gute Ausführung, geschmackvolle Verwendung bekannter Motive, allgemeine Zierlichkeit in Form und Farbe genügen hierbei nicht. Es muß etwas Selbständiges, Schöpferisches wenn auch aus noch so engem Gebiete, es muß zum Mindesten das Bestreben erkennbar sein, neue Ausdrucksmittel der Kunst flüssig zu machen für decorative Zwecke, das Bestreben, die Geistesbewegnng unserer Zeit auch in dem Gebrauchs- geräth in greifbare Form zu bannen. Daß diese Versuche völlig gelungen seien, brauchen wir nicht einmal zu fordern, es werden auch darüber die Meinungen der Alten und der Jungen oft genug auseinander gehen. Aber die Richtung auf künstlerische Selbständigkeit hin muß klar herausleuchten; sonst gehört ein Stück, das auf einer Gewerbeausstellung oder selbst einer Kunstgewerbeausstellung noch eine ganz anständige Figur machen könnte, nicht in die Kunstausstellung, mag sie nun akademisch, secessionistisch oder aus beidem verschmolzen sein.

Ob man bei der Auswahl der Stücke, welche im diesjährigen Katalog die GruppeKunstgewerbe" bildeten, hinreichend vorsichtig gewesen ist, möchte ich hier nicht im Einzelnen erörtern. Wir wollen anerkennen, daß viel Hübsches herbei­geschafft ist; man hat vielleicht gemeint, daß man den ersten Aufmarsch des Kunst­gewerbes an dieser Stelle recht stattlich führen müsse und ist etwas in die Breite gegangen. Das nächste Jahr, in welchem man schon nicht mehr aus ältere Stücke zurückgreisen kann, wird hoffentlich eine Klärung bringen. Diese Klärung muß vor Allein dahin gehen, daß man reiche Ausstattung und mühevolle Arbeit, selbst solche von leidlichem Geschmack, nicht als hinreichende Beglaubigung für den Ein­tritt ansicht. Ornamente von guter Form liegen heute geradezu auf der Straße unserer Handwerkerei; daß man sie auf greift und einem beliebigen Stücke, das etwas Reicheres vorstellen soll, anheftet, ist weit mehr eine Krankheit, als ein Verdienst unserer Zeit. Unter diesem Kringelwefen wird der Grundgedanke des Geräths er­stickt; die Erfindung reiner, zweckangemessener Formen hört ans, wenn man Waaren durch gedankenlose Zusätze in billiger Weise absatzfähig macht. Gerade für die Stufe, auf welcher wir heute stehen, ist es das Wichtigste, zu einfachen Formen Zurückzukehren, aber nicht etwa in der äußerlichen Weise, daß man den üppigen Stil der Renaissance und des Rococo gegen den nüchternen des Empire vertauscht, sondern vielmehr durch das Eingehen auf die Grundsätze moderner Construction und modernen Gebrauches. Ein solches in seinem Gerippe verständig organisirtes Geräth braucht schließlich nicht einfach zu bleiben, sondern kann unter besonderen Umständen reichen Zierrath erhalten, wenn eben seine Bestimmung es erfordert; nur muß dieser Zierrath organisch aus der Beschaffenheit und Technik des Geräthes erwachsen sein. Es gibt also keinerlei äußerliche Kennzeichen, weder Reichthum noch Einfachheit, nach denen man unter diesen sogenannten kunstgewerblichen Stücken das Gute vom Bösen sondern könnte. Es bedarf für diese Sichtung künstlerischen Blickes und höchster Strenge. Man muß völlig absehen von den industriellen Interessen, welche auf einer Gewerbeausstellung ihre Berechtigung haben; man hat bei der Ausstellung im Kunstpalast nicht die Pflicht, das Kunstgewerbe in augen­fälligem Maße, in möglichster Vollständigkeit aller Gruppen und Werkstätten vorzu- sühren, Anfänger zu ermuthigen oder gewisse Betriebe lebensfähig zu erhalten, sondern man hat lediglich die rein künstlerischen Eigenschaften der Stücke zu berücksichtigen.

Hierin, und nur hierin, liegt der Nutzen, ja sogar die Berechtigung für das Heranziehen des Kunstgewerbes in die Kunstausstellung. Dieser Nutzen kann sehr groß sein. Durch eine solche Ausschließlichkeit werden wirklich neue Keime in ihren Ansätzen klar hervorleuchten, der Erfinder kann sicher sein, daß nicht durch den Wust landläufiger Waare die Sehfähigkeit und das Interesse der Beschauer erstickt wird, der wirkliche Künstler bedarf keiner sehr theuren Werkstattsarbeiten, sondern kann unter Umständen durch ein einzelnes, in seinem Material anspruchsloses Stück

Deutschs Rundschau. XXI, 2. 20