Heft 
(1894) 81
Seite
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Literarische Rundschau.

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hat ihr eine Reihe wichtiger Daten geliefert: es hat sich namentlich mit Sicherheit ergeben, daß mehrere Pflanzen, welche heutzutage im ganzen Mittelmeergebiet ver­breitet sind, und welchen aus cnlturgeschichtlichen Gründen asiatische Abstammung zugeschrieben wurde, schon gegen das Ende der Tertiärperiode, vor der Erscheinung des Menschen in Europa, existirten. Sodann hat Hehn nicht hinlänglich berück­sichtigt, daß Pflanzen, die mit guten Verbreitungsmitteln ausgestattet waren, d. h. deren Früchte oder Samen leicht durch Thiere oder Wind weitergesührt werden konnten, nicht der Thätigkeit des Menschen bedurften, um sich, bald nach dem ersten Austreten in einer Zone, überall, wo in derselben die Existenzbedingungen vorhanden waren, rasch zu verbreiten. Wenn serner Viele ältere Kulturpflanzen Europas nahe verwandtschaftliche Beziehungen zu andern Pflanzen des Ostens zeigen, so sind auch dies uralte, vor die Existenz des Menschen zurückdatirende, die für die Wande­rungen in der gegenwärtigen Erdperiode nicht mehr in Betracht kommen.

Aus der andern Seite hat die lebhafte Entwicklung der Sprachvergleichung in den beiden letzten Jahrzehnten zu manchen Ergebnissen geführt, nach welchen Hehn's Gleichungen von Benennungen der Pflanzen bei verschiedenen indogermanischen Völkern sammt den daraus gezogenen Schlüssen unhaltbar erscheinen. Sodann hat Hehn der Thatsache, daß ein Pflanzenname entlehnt ist, zu großen Werth für die Bestimmung der Heimath der Pflanze beigelegt.- Sprachliche Entlehnungen treten keineswegs nur dann auf, wenn ein neuer Gegenstand aus der Fremde eingeführt wird, sondern auch, wenn an einem längst bekannten Gegenstände durch sremde Ein­wirkung eine neue cnltnrhistorische Erfahrung gemacht worden ist: wie man z. B. das Pferd in Deutschland mit einem lateinischen Namen benannte, als man von den Romanen eine neue Benutzung (als Postpferd, xaravorkäuch gelernt hatte. Andererseits beweist Verschiedenartigkeit der Benennungen für ein und dieselbe Er­rungenschaft der Cultur bei verschiedenen Völkern noch nicht gegen die Gemeinsam­keit ihres Besitzes. Hehn hat die Annahme eines vorhistorischen Ackerbaues der Jndogermanen wegen der Verschiedenartigkeit der Ackerbausprache im Griechischen und Lateinischen verworfen: doch ist diese Annahme nach den Ergebnissen der ältesten Stationen der Pfahlbauten nicht abzuweisen; und daß bei zunehmender Erfahrung sich in den Einzelsprachen auseinandergehende Terminologien entwickeln konnten, wird durch Analogien ans anderen Culturgebieten bestätigt. Waren aber die Jndogermanen Europa's in vorhistorischer Zeit bereits zu einer gewissen Stufe der Agricultur vorgeschritten, so dürfte ihr Capital an Kulturpflanzen ein größeres gewesen sein, als Hehn annimmt.

Das von ihm entworfene Bild des europäischen Südens vor dessen Besiedelung durch die Jndogermanen muß also in mancher Beziehung umgestältet werden. Mehrere Gewächse, die nach seiner Ansicht in Griechenland und Italien aus Asien eingeführt wurden, sind, wie gesagt, in Südeuropa seit unvordenklichen Zeiten heimisch gewesen. Hehn glaubte, daß der Weinstock aus seiner Heimath am Südrande des caspischen Meeres und in den pontischen Ländern von semitischen Stämmen über Kleinasien nach Griechenland, von Griechenland nach Italien gebracht worden sei; doch Reste von Vitw vinikora finden sich in Frankreich und Italien schon in den jüngeren Lagerstätten fossiler Pflanzen, und zweifellos ist der (wegen seiner Beeren­früchte zur Verbreitung durch Vögel sehr befähigte) Weinstock vor der Weincultur durch ganz Südeuropa und einen Theil Mitteleuropas verbreitet gewesen. Nach Hehn kannten die Griechen der homerischen Zeit nur den wilden Oelbaum, das Olivenöl nur als phönicischen Importartikel; doch die in Mycenä gefundenen Olivenkerne beweisen, daß man dort schon in vorhomerischer Zeit Oliven, und daß man auch Oel daraus preßte, ist wenigstens nicht unwahrscheinlich. Der europäische Feigenbaum stammt (nach der elastischen Monographie des Grafen zu Solms-Laubacht zwar wahrscheinlich aus dem Osten; aber er hat sich schon in vor­historischen Zeiten von Osten nach Westen verbreitet, als er noch nicht Gegenstand der Cultur war. Ueberhaupt hat Hehn den Unterschied zwischen der Herkunft der