Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

wilden Pflanze und derjenigen ihrer Kultur nicht immer scharf genug hervorgehoben. Auch Lorbeer und Myrte sind nicht erst, wie er annahm, im Gefolge wandernder religiöser Kulte (des Apollo und der Aphrodite) aus dem Orient über Griechenland nach Italien gelangt. Mag auch der Kultus des Lorbeers diesen Weg genommen haben, so ist doch die prähistorische Existenz des Baumes selbst durch paläonto- logische Thatsachen bezeugt; und die Verbreitung der Myrte in allen Macchien des Mittelmeergebiets, und gerade an den von der Kultur am wenigsten berührten Stellen, läßt über ihr Jndigenat in Europa keinen Zweifel auskommen.

Wie bei diesen und einigen anderen Gewächsen nehmen auch bei einigen Haus- thieren die Naturforscher aus Grund paläontologischer Jndicien ein höheres Alter in Europa an als Hehn. Wenn er glaubte, daß die Jndogermanen das Pferd in seiner central-asiatischen Urheimath nur in wildem Zustande kannten, und daß die europäischen Jndogermanen es als Hausthier von iranischen Stämmen empfingen, so nehmen die Naturforscher mit großer Entschiedenheit an, daß das wilde Pferd in Europa ursprünglich heimisch war, und auch das Eindringen des asiatischen Hauspserdes muß nach Nehrung in Europa schon in vorhistorischer Zeit statt­gesunden haben.

Die wichtigsten, gegen Hehn's Annahmen erhobenen Einwendungen beziehen sich, wie man sieht, mehr aus die Heimathsbestimmung namentlich der Gewächse, als aus ihre Verwendung, d. h. ihre Bedeutung für die Cultur; und nur aus­nahmsweise erstrecken sie sich über die Grenze hinaus, welche das Dunkel und die Dämmerung der vorhistorischen Zeit von der Helle der homerischen Welt scheidet. Von da ab, wo Hehn's Untersuchungen und Darstellungen sich aus historischem Boden bewegen, werden sie schwerlich jemals einen erheblichen Widerspruch erfahren. Das von ihm gesammelte Material kann kaum vervollständigt, der Scharfsinn, die Umsicht und die Behutsamkeit, mit der er bei seiner Verwerthung zu Werke ge­gangen ist, kaum überboten werden. Hätte er, der verständnißvollste Interpret der Natur und Cultur des Südens, uns auch nichts weiter geboten, als z. B. den Ueber- blick über die Wandlungen der Landschaft Italiens, die sich im Lause der Jahrhunderte vollzogen, so würde sein Werk schon einen unvergänglichen Werth behalten. Wir verfolgen in seiner musterhaften Darstellung die Umgestaltung der Halbinsel aus einem relativ nordischen Lande mit ungeheueren unwirthlichen Wäldern und Wald- Wildnissen, mit großen Holz-, Pech-, Jagd- und Weiderträgen, zu einem Garten edler Fruchtbäume: ein Proceß, der hauptsächlich durch die stille liebevolle Thätigkeit asiatischer Sclaven und Freigelassenen ermöglicht wurde. Durch immer eue Entlehnungen sehen wir dann im späteren Alterthum und im Mittelalter das Bild der Vegetation Italiens immer reicher, mannigfaltiger und südlicher werden, bis endlich die Zeit kam, woim dunkeln Laub die Goldorangen glühten", und Cactus und Aloeden Typus der mediterranen Landschaft durch ein völlig ein­stimmendes Element ergänzten". Doch das ist ja nur eine der neuen, wichtigen, für immer gesicherten Anschauungen, die wir Hehn verdanken. Für die ganze Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen der Natur und der von Osten nach Westen und dann weiter nach Norden fortschreitenden Cultur des Südens bleibt die Bedeutung des Buchs unvermindert, und sie besteht auch für die Urgeschichte der Völker unseres Stammes im Wesentlichen fort. Daß Untersuchungen, die der historischen Forschung ein so weites, von ihr noch so gut wie nie betretenes Gebiet zum ersten Mal er­schlossen, nicht überall das Richtige treffen konnten, liegt aus der Hand: doch die Arbeit, die einzelne ihrer Ergebnisse als unhaltbar erweist, ist erst durch sie möglich geworden. Mit Recht sagt der Herausgeber, daß, wenn nach Goethe's Ausspruch allein das Fruchtbare wahr ist, Hehn's Buch im höchsten Sinne wahr sei und bleiben werde. Dem Herausgeber, seinem Mitarbeiter und dem Verleger gebührt für die Erneuerung des herrlichen Werks der wärmste Dank Aller, die seinen Werth zu würdigen wissen. L. Fried laend er.