Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

Die Weltstellung des byzantinischen Reiches vor den Kreuzziigen. Von vr.

Carl Neumann. Leipzig, Duncker L Humblot. 1894.

Schon seit geraumer Zeit ist die so lange gepflegte Vorstellung erschüttert, als ob das byzantinische Reich, das von 3951458, also über ein Jahrtausend, bestanden hat, nur ein Scheinleben geführt habe! als ob es ohne leben­dige Bedeutung für die Geschichte und also des Interesses der Forscher nicht rverth sei. Mit Recht kämpft auch der Verfasser der oben er­wähnten Schrift, der sich schon ror einigen Jahren durch eine andere über griechische Ge­schichtschreiber im 12. Jahrhundert als Byzan- tiologe gut eingeführt hat, gegen die früher her­gebrachte Unterschätzung jenes Reiches und leitet sie nicht ohne Grund davon her, daß der ästhe­tisch-literarische Widerwille gegen die in so schroffem Abstand von der elastischen sich be­findende byzantinische Literatur ausdas historisch­politische Gebiet übertragen worden sei. Die byzantinische Welt sei sozusagen verdeckt durch einen Vorbau, eine Schulmeister- und Mönchs- sassade, die man entfernen müsse; sobald dies geschehen, zeige sich, daß diese Welt von großen Problemen bewegt wurde, daß begabte und lebendige Menschen auch in ihr thätig gewesen sind. So stellt sich Neumann's Schrift als ein Beitrag dar, dieser originellen Welt zu einer besseren Würdigung zu verhelfen. In vier Ca- piteln bespricht er von dieser principiellen Grund­lage aus das Reich im 10. Jahrhundert; Er­oberungspolitik und Verjüngung des Reiches; das Reich im 11. Jahrhundert; Türken und Normannen. Man folgt Neumann's aus erster Hand geschöpfter, kenntnißreicher und anregender Darstellung mit wirklichen: Genuß und bedauert nur, daß er mit dem Augenblick abbricht, wo die Komnenenkaiser beginnen. Aber er thut es mit einem bezeichnenden Ausblick:Die Wurzel alles Unheils war in der Hauptstadt und ihrer ungesunden Uebermacht zu suchen. Für die neue Ordnung, welche die Komnenen begründet haben, wurde es ein Vorzeichen und Signal, daß sie mit einer Eroberung von Constantinopel begann."

Geschichte der Normannen in Unter­italien und Sicilien bis zum Aussterben des normannischen Königshauses. Von

1)r. Lothar von Heinemann, Privat- docent an der Universität Halle. Erster Band. Leipzig, C. E. M. Pfeffer. 1894.

Nicht in ihren dauernden Folgen kann mit der normannischen Eroberung Englands die fast gleichzeitige des italischen Südens sich messen; aber mehr noch als in jenem, ist in diesem Unternehmen ein romantischer Zug, Etwas, das uns manchmal anmuthet wie das Helden­gedicht des Ariost. Als Soldaten und aben­teuernde Ritter in Unteritalien erschienen, machten diese Normannen sich im Verlaufe von wenig über sechzig Jahren zu Herren des Landes, das sie theils dem Kaiserreich Byzanz, theils den einheimischen langobardischen Fürstenhäusern entrissen, in blutigen Kämpfen untereinander, bald als Gegner, bald als Beschützer des Papstes behaupteten und endlich durch Niederwerfung

der Saracenen in seinem Machtgebiet beträchtlich erweiterten. Es ist ein unvergleichliches Schau­spiel, die freiwillig oder gezwungen aus der normannischen Heimath Auswandernden, die Nichts besaßen als ihren Arm und ihr Schwert, hier unten ein Reich schassen zu sehen, das bei­nahe zwei Jahrhunderte lang das glänzendste der damaligen Christenheit war. Die Geschichte dieser, namentlich in ihren Anfängen, sich stets befehdenden Interessen und Gegensätze, dieses langen, bald mit offener Gewalt, bald mit Ver­schlagenheit und Hinterlist geführten Kampfes, in dem Hunderte von Namen auf- und unter­tauchen und der immer auf irgend eine Weise mit der hohen Politik des deutschen Kaiserthums und der römischen Kirche zusammenhängt, war gewiß nicht leicht zu erzählen. Aber dem Ver­fasser ist es gelungen, aus diesen höchst ver­wickelten Verhältnissen heraus, in schlichter, überall auf dem umfassendsten Quellenmaterial beruhenden Darstellung uns ein deutliches Bild der Personen und Ereignisse zu geben, das den Leser umsomehr fesseln wird, als er in dem bunten Durcheinander niemals den Faden ver­liert. Dieser erste Band führt bis zum Tode Robert's, mit dem Beinamen Guiscard, der Schlaue, jenes heldenhaften Herzogs, der in steter Fehde mit seinen Stammesgenossen, tapfer,

^ klug und rücksichtslos vor allen Anderen, der eigentliche Begründer der normannischen Macht in Unteritalien und Sicilien war. Wie daraus unter Roger, dem jüngsten Sohne des Hauses Hauteville, und seinen Nachkommen das sicilische Königreich der Normannen, ein kräftiges Staats­wesen mit einer fest gegliederten Verfassung und eigenartiger Cultur sich entwickelte: dieser schönere Theil der Aufgabe ist dem zweiten Bande Vorbehalten, dem wir mit reger Er­wartung entgegensehen.

</1. Der Mensch. Von Prof. Dr. Johannes Ranke. Zweite gänzlich neu bearbeitete Auf­lage. Zwei Bände. Leipzig und Wien, Biblio­graphisches Institut. 1894.

Von dem herrlichen Werke, das wir bereits früher besprachen, ist die zweite Auflage er­schienen. Die kaum zu steigernde Klarheit und Prägnanz der ersten Bearbeitung ist noch erhöht, überall ist vermehrt, gekürzt, gesichtet, gefeilt, immer aber verbessert worden. Die wesentlichsten Aenderungen hat die Entwicklungsgeschichte er­fahren, die ja die imposantesten Fortschritte in den letzten Jahren auszuweisen vermag. Aber auch die Lehre vom Bau und von der Verrichtung der Organe, sowie die Rassenkunde sind auf ihren neuesten Standpunkt erhaben. Immer ruht der Nachdruck auf den Thatsachen. Die Hypothesen sind, der Mahnung I. Müller's eingedenk, ins Laboratorium des Forschers verwiesen. Kein Werk gibt über die physischen Verhältnisse und die Urgeschichte des Menschen exactere und doch zugleich so allgemein verständliche Belehrung als Ranke's Buch, das hiermit den weitesten Kreisen abermals nachdrücklichst empfohlen sein mag, wenn anders das noch nöthig wäre. Geschichte des antiken Communismus und Socialismus. Von Or. Robert Pöhlmann, ord. Professor der alten Ge­schichte an der Universität Erlangen. Erster