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Deutsche Rundschau.
aufwache, dann horche ich mitunter hinauf, ob ich nicht die Schuhe schleifen höre, und wenn Alles still bleibt, so bin ich fast wie enttäuscht und sage mir: Wenn es doch nur wiederkäme, nur nicht zu arg und nicht zu nah."
Das war im Februar, daß Esst so schrieb, und nun war beinahe Mai. Drüben in der Plantage belebte sich's schon wieder, und man hörte die Finken schlagen. Und in derselben Woche war es auch, daß die Störche kamen, und einer schwebte langsam über ihr Haus hin und ließ sich dann aus einer Scheune nieder, die neben Utpatel's Mühle stand. Das war seine alte Raststätte. Auch über dies Ereigniß berichtete Esst, die jetzt überhaupt häufiger nach Hohen- Cremmen schrieb, und es war in demselben Briese, daß es am Schlüsse hieß: „Etwas, meine liebe Mama, hätte ich beinah' vergessen: den neuen Landwehr- bezirkscommandeur, den wir nun schon beinah' vier Wochen hier haben. Ja, haben wir ihn wirklich? Das ist die Frage, und eine Frage von Wichtigkeit dazu, so sehr Du darüber lachen wirst und auch lachen mußt, weil Du den gesellschaftlichen Nothstand nicht kennst, in dem Wir uns nach wie vor befinden. Oder wenigstens ich, die ich mich mit dem Adel hier nicht gut zurecht finden kann. Vielleicht meine Schuld. Aber das ist gleich. Thatsache bleibt: Nothstand, und deshalb sah ich, durch all' diese Winterwochen hin, dem neuen Bezirkscommandeur wie einem Trost- und Rettungsbringer entgegen. Der alte war ein Greuel, von schlechten Manieren und noch schlechteren Sitten, und zum Ueberfluß auch noch immer schlecht bei Kasse. Wir haben all' die Zeit über unter ihm gelitten, Jnnstetten noch mehr als ich, und als wir Anfang April hörten, Major von Crampas sei da, das ist nämlich der Name des neuen, da fielen wir uns in die Arme, als könne uns nun nichts Schlimmes mehr in diesem lieben Kessin passiren. Aber, wie schon kurz erwähnt, es scheint, trotzdem er da ist, wieder nichts werden zu wollen. Crampas ist verheirathet, zwei Kinder von zehn und acht Jahren, die Frau ein Jahr älter als er, also sagen wir fünsundvierzig. Das würde nun an und für sich nicht viel schaden, warum soll ich mich nicht mit einer mütterlichen Freundin wundervoll unterhalten können? Die Trippelli war auch nahe an Dreißig, und es ging ganz gut. Aber mit der Frau von Crampas, übrigens keine Geborne, kann es nichts werden. Sie ist immer verstimmt, beinahe melancholisch (ähnlich Wie unsere Frau Kruse, an die sie mich überhaupt erinnert) und das Alles aus Eifersucht. Er, Crampas soll nämlich ein Mann vieler Verhältnisse sein, ein Damenmann, Etwas, was mir immer lächerlich ist und mir auch in diesem Falle lächerlich sein würde, wenn er nicht, um eben solcher Dinge willen, ein Duell mit einem Kameraden gehabt hätte. Der linke Arm Wurde ihm dicht unter der Schulter zerschmettert, und man sieht es sofort, trotzdem die Operation, wie mir Jnnstetten erzählt (ich glaube, sie nennen es Resection, damals noch von Wilms ausgeführt), als ein Meisterstück der Kunst gerühmt wurde. Beide, Herr und Frau von Crampas, waren vor vierzehn Tagen bei uns, um uns ihren Besuch zu machen; es war eine sehr peinliche Situation, denn Frau von Crampas beobachtete ihren Mann so, daß er in eine halbe und ich in eine ganze Verlegenheit kam. Daß er selbst sehr anders sein kann, ausgelassen und übermüthig, davon überzeugte ich mich, als er vor