Heft 
(1894) 81
Seite
330
Einzelbild herunterladen

330

Deutsche Rundschau.

um sich, die kräftig genug ist, sie zu schützen oder sie zu tragen, wenn ihr 'Was passirt. Diesmal hat sie eine neue. Aber doch auch wieder eine ganz ramassirte Person, ähnlich wie die Trippelli, nur noch stärker.

O, die Hab' ich schon gesehen. Gute braune Augen, die einen treu und zuversichtlich ansehen. Aber ein klein bißchen dumm."

Richtig, das ist sie."

Das war Mitte Juni, daß Jnnstetten und Esst dies Gespräch hatten. Von da ab brachte jeder Tag Zuzug, und nach dem Bollwerk hin spazieren gehen, um daselbst die Ankunft des Dampfschiffes abzuwarten, wurde, wie immer um diese Zeit, eine Art Tagesbeschästigung für die Kessiner. Esst freilich, weil Jnnstetten sie nicht begleiten konnte, mußte darauf verzichten, aber sie hatte doch wenigstens die Freude, die nach dem Strand und dem Strandhotel hinaussührende, sonst so menschenleere Straße sich beleben zu sehen, und war denn auch, um immer wieder Zeuge davon zu sein, viel mehr als sonst in ihrem Schlafzimmer, von dessen Fenstern aus sich Alles am besten beobachten ließ. Johanna stand dann neben ihr und gab Antwort auf ziemlich Alles, was sie wissen wollte; denn da die Meisten alljährlich wiederkehrende Gäste waren, so konnte das Mädchen nicht bloß die Namen nennen, sondern mitunter auch eine Geschichte dazu geben.

Das Alles war unterhaltlich und erheiternd für Effi. Grade am Johannis­tage aber traf es sich, daß kurz vor elf Uhr Vormittags, wo sonst der Ver­kehr vom Dampfschiff her am buntesten vorüberstuthete, statt der mit Ehe­paaren, Kindern und Reisekoffern besetzten Droschken, aus der Mitte der Stadt her ein schwarz verhangener Wagen (dem sich zwei weitere Trauerkutschen an­schlossen) die zur Plantage führende Straße herunter kam und vor dem der landräthlichen Wohnung gegenüber gelegenen Hause hielt. Die verwittwete Frau Registrator Rode war nämlich drei Tage vorher gestorben, und nach Eintreffen der in aller Kürze benachrichtigten Berliner Verwandten war seitens eben dieser beschlossen worden, die Todte nicht nach Berlin hin überführen, sondern auf dem Kessiner Dünenkirchhof begraben zu wollen. Esst stand am Fenster und sah neugierig aus die sonderbar feierliche Scene, die sich drüben abspielte. Die zum Begräbniß von Berlin her Eingetroffenen waren zwei Neffen mit ihren Frauen, Alle gegen Vierzig, etwas mehr oder weniger, und von beneidenswerth gesunder Gesichtsfarbe. Die Neffen, in gut sitzenden Fracks, konnten passiren, und die nüchterne Geschäftsmäßigkeit, die sich in ihrem ge­summten Thun ausdrückte, war im Grunde mehr kleidsam als störend. Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz ersichtlich bemüht, den Kessinern zu zeigen, was eigentlich Trauer sei, und trugen denn auch lange, bis an die Erde reichende schwarze Kreppschleier, die zugleich ihr Gesicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg, auf dem einige Kränze und sogar ein Palmenwedel lagen, auf den Wagen gestellt, und die beiden Ehepaare setzten sich in die Kutschen. In die erste gemeinschaftlich mit dem einen der beiden leid­tragenden Paare stieg auch Lindequist, hinter der zweiten Kutsche aber ging