Heft 
(1894) 81
Seite
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Essi Briest.

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die Hauswirthin, und neben dieser die stattliche Person, die die Verstorbene zur Aushülse mit nach Kessin gebracht hatte. Letztere war sehr ausgeregt und schien durchaus ehrlich darin, wenn dies Aufgeregtsein auch vielleicht nicht gerade Trauer war; der sehr heftig schluchzenden Hauswirthin aber, einer Wittwe, sah man dagegen doch allzu deutlich an, daß sie sich beständig die Möglichkeit eines Extrageschenkes berechnete, trotzdem sie in der bevorzugten und von anderen Wirthinnen auch sehr beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer vermiethete Wohnung noch einmal vermiethen zu können.

Esst, als der Zug sich in Bewegung setzte, ging in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um hier, zwischen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des Lieb- und Leblosen, den die ganze Scene drüben aus sie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies aber nicht glücken wollte, kam ihr die Lust, statt ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren Spaziergang zu machen, und zwar um so mehr, als ihr der Arzt gesagt hatte, viel Bewegung im Freien sei das Beste, was sie, bei dem, was ihr bevorstände, thun könne. Johanna, die mit im Garten war, brachte ihr denn auch Umhang, Hut und Entoutcas, und mit einem freundlichenGuten Tag" trat Esst aus dem Hause heraus und ging aus das Wäldchen zu, neben dessen breitem chaussirten Mittelweg ein schmalerer Fußsteig auf die Dünen und das am Strand ge­legene Hotel zulief. Unterwegs standen Bänke, von denen sie jede benutzte, denn das Gehen griff sie an, und um so mehr, als inzwischen die heiße Mittagsstunde herangekommen war. Aber wenn sie saß und von ihrem be­quemen Platz aus die Wagen und die Damen in Toilette beobachtete, die da hinaussuhren, so belebte sie sich wieder. Denn Heiteres sehen, war ihr wie Lebenslust. Als das Wäldchen aufhörte, kam freilich noch eine allerschlimmste Wegstelle, Sand und wieder Sand und nirgends eine Spur von Schatten; aber glücklicherweise waren hier Bohlen und Bretter gelegt, und so kam sie, wenn auch erhitzt und müde, doch in guter Laune bei dem Strandhotel an. Drinnen im Saal wurde schon gegessen, aber hier draußen um sie her war Alles still und leer, was ihr in diesem Augenblicke denn auch das Liebste war. Sie ließ sich ein Glas Sherry und eine Flasche Biliner Wasser bringen und sah auf das Meer hinaus, das im Hellen Sonnenlichte schimmerte, während es am User in kleinen Wellen brandete.Da drüben liegt Bornholm und da­hinter Wisby, wovon mir Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorschwärmte. Wisby ging ihm fast noch über Lübeck und Wullenweber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen die großen Ströme und dann das Nordcap, und dann die Mitternachtssonne." Und im Augenblick erfaßte sie eine Sehnsucht, das alles zu sehen. Aber dann gedachte sie wieder dessen, was ihr so nahe bevorstand, und sie erschrak fast. Es ist eine Sünde, daß ich so leichtsinnig bin und solche Gedanken habe und mich wegträume, während ich doch an das Nächste denken müßte. Vielleicht bestraft es sich auch noch und Alles stirbt hin, das Kind und ich. Und der Wagen und die zwei Kutschen, die halten dann nicht drüben vor dem Hause, die halten dann bei uns . . . Nein, nein, ich mag hier nicht sterben, ich will hier nicht begraben sein, ich will nach Hohen-Cremmen. Und Lindequist, so