Heft 
(1894) 81
Seite
358
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Z58

Deutsche Rundschau.

Einer der erwähnten Landschaftstypen ist durch die Gegend um Stavanger verkörpert, ich meine jene Combination der salzigen Fluth mit den modellirten Abstürzen eines vornehmlich aus Gneißmassen bestehenden Gebirges, dessen letzte, gegen das Meer vorgeschobene Thäler unter Wasser stehen und als Fjords bezeichnet werden. Davor lagern sich rundliche Felsinseln und bilden in ihrer Gesammtheit das, was man die Schären-Flur nennt. Diese ändert freilich, auf dem langen Wege von Stavanger bis zum Nordkap, ihr Aussehen in mannig­facher Art; denn oft wachsen jene kleinen, nur klippenartigenHolme" in die Höhe und in die Breite, bald Inseln bildend mit Weideland und zerstreuten Culturen, bald sich ausbäumend zu wilden Felsmassen, die wie ein vornehmes Gebirge daliegen oder das Auge vorübergehend durch ihre grotesken Formen reizen.

In seiner nächsten Nähe besitzt Stavanger einen Fjord, er heißt Lyse- Fjord, welcher eine Vorahnung gibt, wie schnell in Norwegen eine ruhige Land­schaft sich in eine Coulissen-Landschaft wandeln kann.

Diesem galt der erste Ausflug; kein Wunder, daß derselbe einen groß­artigen Eindruck hervorbrachte. Man sieht Felswände aus dem Wasser empor­steigen, die, an sich hoch, doppelt hoch erscheinen, weil man ihnen so nahe ist. Das Auge, welches vom Fjordspiegel aus das Aufstreben der Gebirgsmauern verfolgt, wird mehr und mehr verwirrt, je steiler es aufsieht. Denn die Zeich­nung, welche jedes derartige Gebilde durch Felsrisse, Klüftungen und Schicht­grenzen erhält, wird mit dem kleiner werdenden Gesichtswinkel zu immer engeren Maschen zusammengedrängt.

Daher oft das Abschreckende hoher Felsberge, welche man sich anschickt zu ersteigen. Das geläufigste Beispiel dafür ist das Matterhorn. Seine Ersteigung, sowohl die vom Col du Lion, wie die vom Zmutt-Grat aus, bestätigt das Gesagte mit besonderer Eindringlichkeit. Im klebrigen aber stehen die Felsufer eines norwegischen Fjords unter durchaus anderen Bedingungen als die Hoch- gebirgsselsen. Die Gegensätze beruhen ans der sehr verschiedenen Dichtigkeit der Atmosphäre, auf den nicht minder großen Unterschieden des Feuchtigkeit­gehaltes, der Sonnenbestrahlung, der Geschwindigkeit im Temperaturwechsel. Auch spielt die Vegetation eine Rolle, nicht nur für die Verwitterung, sondern auch für das dargebotene physiognomische Bild. Denn die Hochgebirgsselsen sind nackt, während das in dem Fjordwasser gespiegelte Gebirge die Lebens­bedingungen für Moose, Gräser und Kräuter darbietet, ja sogar für den Baumwuchs; und so sieht man denn Birken, Erlen, Kiefern, Wohl auch Eschen, Pappeln und Weiden über die Abstürze des Gebirges ausgestreut. An einzeln dastehenden Kiefern lernt man erkennen, wie genügsam die Natur sein kann, oder richtiger, welches Anpassungs-Vermögen sie einigen ihrer Geschöpfe gegeben hat. Denn diese Bäume scheinen zuweilen direct aus dem harten Fels herauszu­wachsen; man sieht nicht den kümmerlichen Nährboden des Erdreichs, das sich mit den Wurzeln des Baumes in einem unsichtbaren Riß verbirgt. Diese Kiefern gleichen den Menschen, bei denen man nicht begreift, wie sie es fertig bringen zu existiren.