364
Deutsche Rundschau.
sich auch in Norwegen bewähren würde, das konnte man freilich zuvor nicht Wissen. Denn es fehlten die kaiserlichen Hengste, der erprobte Leibkutscher, das erprobte Geschirr. Alles dieses konnte nur in Norwegen selbst beschafft werden; hier konnten nur norwegische Ponies dienen, und dazu gehörte norwegisches Geschirr und ein norwegischer Kutscher. Aber Alles ging vortrefflich, und die Kaiserin, welche, von ihrer holsteinischen Heimath her, ein besonderes Interesse und Verständniß für Pferdezucht, für Reiten und Fahren bewahrt hat, sprach sich anerkennend über die Leistungen der wackeren kleinen Ponies aus. Da dieselben bei jeder Fahrt wechselten, so war auch jede neue Fahrt ein neuer Versuch. Ihre Majestät war dabei stets von Fräulein von Gersdorff begleitet. Herr von Lyncker und Herr v. d. Knesebeck, ein Jeder in einem besonderen Karriol, folgten unmittelbar dem Wagen.
Es war nicht immer ganz einfach, einen Landausflug so vorzubereiten, daß nie eine Störung eintrat. Die Fahrzeuge, welche nöthig waren, bildeten eine Wagenburg; sie mußten richtig aufgestellt werden, zuweilen aus engem Raum, und so, daß, wenn die Majestäten an Land kamen, kein Verzug in der Abfahrt eintrat. Im Lause der Jahre hatten sich die Dinge mehr und mehr so entwickelt, daß die Jnscenirung in Herrn von Lyncker's und meine Hände gelegt war.
Der erste Ausflug galt dem Buar-Brae, dem bekanntesten Gletscher der Folge-Fonn. Sie ist ein schneebedecktes Plateau, welchem zwei Seitenarme des großen Hardanger-Fjords die Form einer Halbinsel gegeben haben. Die „Hohenzollern" war am Abend des vierten Juli nach der Fahrt durch den Lyse-Fjord in dem Karm-Sund zu Anker gegangen, damit die Kaiserin den Hardanger-Fjord in seiner ganzen Ausdehnung bei Tage sehen könnte. Dieser Tag war der fünfte Juli, dessen Heiterkeit der lieblichen Landschaft entsprach.
Auf beiden Usern sind die Hänge bewachsen, und wenn man tiefer in den Fjord eingetreten ist, so sieht man die Weißen Profillinien der Folge-Fonn. Mit dem Eintritt in den Arm des Sör-Fjord, der den östlichen Abfall des soeben genannten Schneeplateaus bespült, sieht man zum ersten Mal kleine Gletscher. Sie erfüllen den oberen Theil verhältnißmäßig unbedeutender Felsschluchten, welche sich aufwärts in dem Firn der Folge-Fonn verlieren. Das gegenüberliegende Ufer zeigt keine Gletscher; hier liegt das schneetragende hohe Fjeld, die Plateaufläche, weiter zurück.
Beiden Hängen gemeinsam ist die Fruchtbarkeit der User-Streifen, wo man viele Gehöfte sieht. Die Temperatur kann im Sör-Fjord zur Julizeit unerträglich hoch steigen und bewirkt das Reifen von Kirschen und Aepfeln. Aehnlich liegen die Verhältnisse in den innern Verzweigungen des nördlicheren Sogne-Fjord, wo auch bereits der continentale Charakter des Klimas deutlich ausgeprägt ist, mit kalten Wintern, heißen Sommern und weit geringeren Niederschlägen, als sie an der Küste beobachtet werden.
Der keilförmige Sör-Fjord hat die mittlere Breite eines mächtigen Flusses; an seinem Südende liegt Odde aus fruchtbarem Schwemmland, dessen Entstehung sich dem Auge durch horizontale Linien verräth, wie wir sie auch an den Erdwerken befestigter Plätze sehen. Diese Bildungen kehren in Nor-