Die Nordlandreise des Deutschen Kaiserpaares im Jahre 1894.
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Wegen fast überall da wieder, wo ein großes Thal in einen Fjord mündet; das Becken des letzteren ist, orographisch genommen, nur die Fortsetzung des Thales, seine tiefstgelegene Terrassenstufe. Die nächsthöhere, dem Schwemmland benachbarte Stufe ist meist von einem See erfüllt oder ist ein altes
Seebecken. Verfolgt man das Thal weiter aufwärts, so läßt sich für
das Flußbett häufig eine Neigung zu treppenartiger Anordnung feststellen. Die Anzahl der Stufen ist freilich gering, selbst bei Hauptthälern, aber doch groß genug, um landschaftliche Abwechselungen zu bringen. Denn jede Stufe zerfällt in zwei Abschnitte, von denen der eine, sozusagen, einen horizontalen,
der andere einen verticalen Charakter hat. Dadurch entsteht für die Thal
sohle ein lieblicher Typus mit Wiesen, Feldern, Wohl auch Wohnstätten, und ein wilder Typus, wo der Fluß schäumend und brausend über nackte Felsen stürzt.
Nichts liegt mir ferner, als Landschaften schematisiren zu wollen; aber der beobachtende und denkende Reisende hat das Recht, die Summe der ihm zu Theil gewordenen Einzeleindrücke zu vergleichen, und wenn alsdann der Vergleich ein gemeinsames Etwas herausspringen läßt, so darf es Wohl in Worte gefaßt werden. Diese Thätigkeit bildet für den älteren Reisenden den Hauptreiz. Der Jugend werden ganz andere Freuden geboten; sie ist so eindruckfähig und eindruckbegierig, daß das bloße Sehen ungekannter Landschaften und Städte, fremder Menschen und Gebräuche ihr genügt. Der Eindruck als solcher ist ihr die Hauptsache; deshalb läßt sie sich nichts entgehen und steht bewundernd still, wo das Alter gleichgültig vorüberschleicht; denn dieses besitzt schon, was jene erst erwirbt.
Im Besonderen ist es für den angehenden Naturforscher oder den späteren Philosophen ein unschätzbares Glück, in jüngeren Jahren viel gereist zu sein. Die Eindrücke bleiben, die Kunst der Beobachtung wird geübt, und dem Geist wird Stoff der Betrachtung geliefert. Man lernt zuerst sehen, dann das Gesehene beschreiben, dann ergründen. Und kommt man über solcher Thätigkeit zu Jahren, wo die neuen Eindrücke an unmittelbarem Reiz verloren haben, so findet man in der erworbenen Fähigkeit des Vergleiches den Ersatz für das Verlorene.
Die norwegischen Landschaften fordern nun vielfach zu Vergleichen auf, sowohl unter sich, wie mit Hochgebirgen. Da ich sechsmal in Norwegen gereist bin, in Summa sieben bis acht Monate, und jedesmal danach die Alpen aussuchte, so ist es begreiflich, daß dieser Bericht auch hier und da eine verallgemeinernde Bemerkung enthält.
V.
Von dem Oertchen Odde würde nicht viel übrig bleiben, wenn man ihm seine hölzernen Hotels nähme und den Kiosk, wo für den Fremdling die bekannten norwegischen Fabrikate von silbernen Löffeln und Humpen, hölzernen Schachteln und gewirkten Teppichen feilgeboten werden.
In Norwegen deckt sich der Begriff der Ortschaft mit dem unsrigen nur bezüglich der Städte; eigentliche Dörfer gibt es nicht, weil schließlich die