366
Deutsche Rundschau.
cultivirten Strecken viel zu spärlich vorhanden sind, als daß die Einwohnerschaft eines Dorfes vom Ackerbau leben könnte. An die Stelle des Dorfes tritt eine Anzahl getrennt liegender Anwesen, deren jedes aus einem bis drei Bauerhöfen besteht. Odde hat aber eine besondere Bedeutung, einmal weil es seiner landschaftlichen Schönheit wegen von Reisenden stark besucht wird; und dann auch, weil es den Endpunkt einer der großen Verkehrsstraßen bildet, welche das westliche und östliche Norwegen verbinden. Zwischen beiden Theilen herrschen nicht minder große Unterschiede als zwischen Nord- und Süddeutschland.
Erst seit Kurzem sind die Arbeiten vollendet worden, welche die östliche Hälfte der Straße zu einem einheitlichen Wasserwege gemacht haben; seine Niveau-Unterschiede werden mittels einer Reihe großartig angelegter Schleusen überwunden. Es ist jedem Reisenden anzurathen, einmal den Weg von Christiania über die Stadt Skjien durch Telemarken zu nehmen, über den Paß bei Haukeli-Saeter das westliche Norwegen zu betreten und von da nach Odde zu fahren. Man lernt dabei eine Reihe verschiedener, für Norwegen charakteristischer Landschaften kennen: das langerstreckte, seenerfüllte Thal des Ostens; das norwegische Fjeld mit der Zebra-Schneebedeckung und seinen langgezogenen Gneißkuppen; die felsigen, grün und grüner werdenden Thaleinschnitte des westlichen Gebirgsabfalls und endlich den norwegischen Fjord in der ruhigen Schönheit seines Wasserspiegels und der eisgekrönten Erhabenheit seiner Einfassung.
Die „Hohenzollern" lag bereits am Nachmittag des fünften Juli vor Odde zu Anker, so daß Zeit blieb, die Vorbereitungen für den beabsichtigten Ausflug des Kaiserpaares nach dem Buar-Brae zu treffen. Der Wagen der Kaiserin wurde sofort an Land gebracht, mit den ausgesuchten Ponies bespannt und ausprobirt. Desgleichen wurden die beiden Reitpferde probeweise gesattelt, welche für die Kaiserin und deren Hofdame bestimmt waren.
In der Frühe des folgenden Tages begaben sich die Majestäten an Land, nur von denjenigen Herren an der Landungsbrücke erwartet, welche dienstlich besohlen waren. Das übrige Gefolge und die geladenen Officiere des Stabes der „Hohenzollern" erwarteten die Ankunft an dem rechten Ufer des Sandven- Sees, welcher 70 m über Odde liegt, in halbstündiger Entfernung. Hier lag ein Dampfboot bereit, dessen Dürftigkeit und winzige Dimensionen einen grellen Gegensatz zu dem Glanz und der Größe der „Hohenzollern" bildeten. Aber die Landschaft hatte Glanz und Größe, und darüber schienen es die Majestäten gar nicht bemerken zu wollen, daß sie sich mit einer schmalen Holzbank, in unmittelbarer Nähe der heißen Maschine, begnügten.
Der Sandven-Vand (Band bedeutet See) ist etwa eine Stunde lang und halb so breit. Seine felsigen User sind hoch hinaus mit Buschwerk und Kräutern bestanden; und an drei Stellen ziehen Wasserfälle ihre breiten, schaumweißen Bänder über sie hin. Für die Straße ist kaum Platz gelassen, so nahe tritt der Rand des Wasserspiegels an den Gebirgshang. Beim Ausstieg hat man den See zur Rechten und gewinnt dadurch einen Einblick in das gegenüberliegende Thal, welches seine Berühmtheit dem abschließenden Gletscher, dem Buar-Brae,