Heft 
(1894) 81
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Tie Nordlandreise des Deutschen Kaiserpaares im Jahre 1894.

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verdankt. Man sieht letzteren so nahe (in 45 Kilometer Entfernung), daß sich bereits viele Details erkennen lassen, und gewinnt einen Ueberblick, welcher mit der Annäherung verloren geht. Zwei kuppensörmige Felsberge, deren Ost­flanken gegen den See abfallen, bilden das Eingangthor des Thales und rahmen die Eismasse des Hintergrundes ein; dadurch entsteht das Bild einer geschlossenen Alpenlandschaft, welche sich in dem See spiegelt. Der kleine Dampfer durchschnitt ihn und brachte die hohen Reisenden an das linke Ufer, wo die vom Gletscher kommenden Wasser einmünden. Diese Stelle hatte der Kaiser schon vor fünf Jahren betreten und geleitete nun seine Gemahlin durch das Thal zu dem Absturz des Buar-Brae.

Der Weg ist steinig und schmal, so daß mehrere Personen bequemer hinter einander gehen, als neben einander. Zwischen den hohen Thalwänden liegt die Lust oft unbewegt da, und in der Zeit des Hochsommers, wo die Sonne länger als zwanzig Stunden über dem Horizont bleibt, kühlen sich die erwärmten Felsen nur wenig ab. Kein Wunder also, daß die Hitze sehr fühlbar wurde. Trotzdem zog die Kaiserin vor, den Weg zu Fuß zurückzulegen.

Der Kaiser hatte mir befohlen, die Tete zu nehmen und unmittelbar vor Ihrer Majestät zu gehen. Das Marschtempo wurde so langsam gewählt, daß die Kaiserin Muße fand, sich des Weges zu erfreuen und der Ausblicke, welche derselbe darbot. Trotzdem war das Ziel in wenig mehr als anderthalb Stunden erreicht; und obwohl die Steigung mehr als 250 Meter betragen hatte, so blieb jedes Gefühl der Ermüdung ausgeschlossen, das Hitze und Anstrengung hätten Hervorbringen können.

Die Kaiserin nahm auf einem Felsen Platz, welcher dem linken Thalhang angehört, und konnte aus nächster Nähe betrachten, wie ein Gletscher endet. Denn viel mehr als das Ende sieht man nicht; und wenn die Profillinie, mit welcher das Eis abschneidet, auch hoch zu liegen scheint, so steigt der Gletscher hinter ihr doch weit höher auf, ehe er seinen Ursprung im Firn erreicht.

Dafür bot die große Nähe andere Reize, vor Allem die Möglichkeit, jenes wechselvolle Spiel zu beobachten, welches der Gletscher mit allen Farben- Nüancen, vom Weiß bis zum Dunkelblau, treibt, jenes Auf- und Niederwogen farbiger Töne, denen ein anderes Spiel an die Seite tritt: das der verschie­denen Formen. Denn die Oberfläche des Gletschers ist bis in beträchtliche Tiefen zerklüftet; sie zeigt Systeme von Spalten, aus denen sich bei steilem Hange vielgestaltige Figuren entwickeln; und schließlich ein Gewölbe, aus welchem das Schmelzwasser abfließt. Auch liegt im südlichen, oft auch im nördlichen Norwegen das Ende eines Gletschers eingebettet zwischen vegetations­tragenden Hängen, und selten verfehlt dieser Gegensatz zwischen der Welt des Eises und der Welt organischen Lebens seine Wirkung aus den denkenden Be­schauer.

Der Naturbewunderung wurde eine materielle Unterlage durch ein Gabelfrühstück gegeben, bei welchem das Gefolge um die Majestäten vereinigt blieb. Man kann sich denken, daß es keine Kleinigkeit ist, ein solches Mahl zuzurichten und sammt allem dazu gehörigen Geräth auf dem Rücken von Pferden über schlechte Wege bis zu einem Gletscher zu transportiren.