Heft 
(1894) 81
Seite
368
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Z68

Deutsche Rundschau.

Die Rast am Buar-Brae wahrte zweieinhalbe Stunde, und Mittag war gerade vorüber, als der heiße Rückmarsch begann. Aus die Bitte Seiner Majestät bestieg die Kaiserin den vorgeführten Pony; aber das Thier erweckte der hohen Frau, die nur an stattliche Pferde gewöhnt ist, so wenig Zutrauen, daß der Kaiser von seiner Bitte Abstand nahm. Ihre Majestät ließ sich einen Bergstock reichen und legte den Weg durch das Thal bis zum See in fünf­viertel Stunden zurück.

Bei den von Obstgärten umgebenen Häusern des Sandven-Gaard lag der Dampfer, auf der anderen Seite des Sees standen die Wagen, an der Landungs­brücke lag die Pinaß, und ohne Zeitverlust fuhren die Majestäten über den See, dann im schnellen Trabe bei wirbelndem Staube hinab nach Odde und endlich zurück an Bord der Pacht.

Reicher an Eindrücken hätte der erste Ausflug nicht verlausen können, aus welchem die Kaiserin die Eigenthümlichkeiten der norwegischen Landschaft kennen lernte. Aber den werthvollsten Beitrag lieferte die hohe Frau selbst, indem sie alle Beschwerden lächelnd hinnahm und den allgemein herrschenden Frohsinn gleichzeitig belebte und in schönen Grenzen erhielt.

VI.

Für den folgenden Tag waren besondere Festsetzungen nicht getroffen worden, und der Kaiser gab mir Urlaub zu einer Recognoscirung. Der Ausflug, welchen ich von Odde aus unternahm, war viel leichter auszu- sühren, als der nach dem Buar-Brae. Man bleibt aus der großen Straße und läßt, schnell im leichten Karriol dahintrabend, Bilder an sich vorüber­ziehen, denen es nicht an reichem Wechsel fehlt. Man hat den Vortheil, den Anblick des Buar-Gletschers sehr lange zu genießen; denn das Ostufer des Sandven-Vand wird in seiner ganzen Erstreckung von dem Wege umsäumt, und jenseit des Westusers liegt eben die Folge-Fonn mit ihren Eisabflüssen.

Erst am oberen Ende des Sees wird aus dem Kessel ein Flußthal, dessen Sohle Platz läßt für Wiesen, Felder und Gehöfte, dessen Hänge vornehmlich mit Birken bestanden sind. Die höher gelegenen Stufen, oberhalb Seljestad, werden öder und wilder.

Für Reisende, namentlich wenn ihnen Norwegen noch etwas Neues ist, bilden die Wasserfälle des Thals den Hauptanziehungspunkt. Die schönsten sind von Odde aus in etwa zweistündiger Fahrt zu erreichen und stürzen von beiden Seiten in die Tiefe: aus dem rechten Hang der Lote- und Skar-Fos, ein Zwillingspaar; gegenüber der Espeland-Fos. Fos bedeutet Wasserfall.

Norwegen ist das Land der Wasserfalle. Durch die Häufigkeit machen sie sich Concurrenz, aber durch ihre Mächtigkeit, Wohl auch durch Formenreich­thum ziehen sie das Auge stets von Neuem an. Der Anblick bewegter Massen erweckt fast immer das Interesse des Menschen. Wer betrachtete nicht gern die vorüberbrausende Locomotive und sähe ihr nach? Oder den erglühen­den Meteor oder die tobende Lawine? Der Wasserfall hat noch das Be­sondere, daß aus der Summe der bewegten Tropfen ein constantes Ganze her­vorgeht ; etwa wie die Armee ein constantes Ganze ist und sich doch stetig in