Die Nordlandreise des Deutschen Kaiserpaares im Jahre 1894.
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ihren Elementen verändert; oder wie die Wolkenfahne eines hochaufragenden Felsgipfels, an dem der Wind feine Feuchtigkeit absetzt: das Dnnstbläschen bildet sich an dem kalten Gestein, wird vom Winde fortgeführt, und in Gemeinschaft mit allen anderen, gleich ihm bewegten bildet es die ruhig verharrende Fahne und löst sich wieder auf, wenn es der Kältesphäre des Gesteins entronnen ist.
Norwegische Wasserfälle und norwegische Gletscher sind nur verschiedene Ausdrücke derselben Ursachen. Ihr häufiges Auftreten und ihre bedeutende Vertical-Erstreckung erklärt sich ans dem Bau des Landes, welches ein Plateau ist mit steilen Abfällen, und dessen Klima dem Gebirge schon bei mäßiger Erhebung eine Schneegrenze gibt. Es kommt hinzu, daß die Nähe des Atlantischen Oceans so viel Feuchtigkeit liefert, daß auch wirklich große Schneemassen aus dem Plateau angehäust werden können. Dies ist der Nährboden sowohl der Gletscher wie der Wasserfälle; in die Erscheinung treten sie, wo die Hänge zu Schluchten modellirt sind. Läge Norwegen da, wo die Alpen liegen, d. h. Hütte es das Klima Mitteleuropas, so würden seine Wasserfälle kümmerlich fließen, Wohl auch ganz versiegen; und von den Gletschern würde nichts übrig bleiben, als gelegentlich ein Eisfeld in einer schattenreichen Schlucht.
Zu denjenigen Punkten, welche der Kaiser am häufigsten besucht hat, sowohl bei gutem Wetter, wie bei strömendem Regen, gehört Stalheim, das bereits dem Gebiet der Sogne-Fjord angehört. Und als es sich um den Entwurf des Reiseprogramms handelte, legte Seine Majestät besonderes Gewicht darauf, daß die Kaiserin jene oft gerühmte Landschaft kennen lernte. Da aber der Weg, welcher aus dem Hardanger-Fjord nach Stalheim führt, kaum minder Schönes bietet, als der Zielpunkt selbst, so sollte auch die Landreise von Ehde über Stalheim nach Gudvangen ausgeführt werden: achtzig Kilometer.
Am Nachmittag des siebenten Juli nahm die „Hohenzollern" die Anker auf, nachdem sie zwei Tage vor Odde gelegen; und bei einer Fahrtgeschwindigkeit von fünfzehn Meilen zogen sie an uns vorüber: die hängenden Gletscher der Folge-Fonn, die in dunklen Schluchten verschwindenden Wasserfälle, die darunter wieder austauchenden Bäche, die überwachsenen Schuttkegel, die Obstgärten, grünen Haine und freundlichen Wohnstätten. Das Kaiserpaar wandte keinen Blick von diesen, zu einem harmonischen Ganzen verschmolzenen Einzelheiten. Nach den heißen Tagen bot der Fahrtwind eine willkommene Brise, und die mächtigen Maschinen der „Hohenzollern" brachten das ruhige Wasser des Sör-Fjord in kräftige Wallung. Dazu ein Schiff, auf welchem die Pracht nur als Schmuck der Behaglichkeit erscheint, bei Allen dieselbe Freudigkeit, dem Herrscherpaar zu dienen: kein Wunder, daß so schöne Stunden unvergessen bleiben.
Das breite Becken des Hauptfjords wurde in kurzer Zeit durchschnitten; dann lief die „Hohenzollern" in den sehr schmalen, geradlinigen Graven-Fjord ein und ankerte vor Ehde, das am Ende liegt.
Deutschs Rundschau. XXI, 3,
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