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Deutsche Rundschau.
ist. Die unteren Hänge und die Thalsohle stellen sich dar als ein Gemisch von großen Gneißblöcken mit einer dem Menschen nutzlosen Vegetation. Das häufige Auftreten von Wollgras verräth die Neigung zur Sumpf- und Morastbildung; Krüppelweiden und Zwergbirken, Farne, Moofe, Eriken und beerentragende Kräuter find weithin ausgebreitet. Alles Grün erscheint abgetönt ins Graue, ins Gelbliche oder in ein stumpfes Blau; nur einige blühende Phanerogamen sind die Träger lebendigerer Farben. Dazu noch der wolkige Himmel und gelegentlich ein Regenschauer. Heiter war diese Landschaft nicht, aber vor Allem war sie auch nicht kleinlich; sie besaß Größe.
An der Grenze einer milderen Zone liegen die Häuser von Grotlid, in etwa 880 m Höhe; der Schneeberg Skridalaupen ragt in der Nachbarschaft auf. Ein sehr gut gehaltenes, der Regierung unterstehendes Wirthshaus lieferte mir Unterkunft. In dem Nachbarhause wohnte der Ingenieur Peddersen, den ich besuchte, und der am folgenden Tage mein Reisegefährte wurde. Derselbe leitet den Bau einer Straße, welche man hofft, noch in diesem Fahre fertig zu stellen, und die von Grotlid nach dem Strhn-Vand führt, d. h. in das Gebiet des Nord-Fjords. Diese Straße ist sowohl bezüglich ihrer kunstgerechten Anlage, wie bezüglich der durchschnittenen Gegend als eine Zwillingsschwester der bereits geschilderten anzusehen. In Grotlid haben beide ihre gemeinsame Wurzel und gehen von hier in ziemlich spitzem Winkel auseinander; beide führen durch die Region der Hochgefilde und senken sich dann, dem Aufbau des Landes gemäß, steil nieder zu zwei verschiedenen Fjords. Diese neue Straße bereichert Norwegen wiederum um ein Bindeglied zwischen dem Westen und Osten; aber sie bereichert gleichzeitig alle Reisenden um eine der schönsten Excursionen, welche sich in Norwegen machen lassen. Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß der Weg von Merok über Grotlid nach Visnaes im Nord-Fjord binnen Kurzem Berühmtheit erlangen wird.
Der Wegbau in Norwegen steht unter der Leitung des Wegdirectors Kräh, desselben Mannes, der auch den „Kaiser-Wilhelm-Weg" bei Christiania erbaut hat. Man ist erstaunt zu hören, mit einem wie geringen Aufwand von Mitteln hier Werke geschaffen werden, welche unseren schwierigen Alpenstraßen ebenbürtig an die Seite treten. Denn die Straße von Merok nach Grotlid (41 üm, höchster Punkt 1038 in) kostet nur 335 000 Kronen — 376900 Mark und die andere, von Grotlid bis Hjelle (39 Irin, höchster Punkt 1139 in), noch etwas weniger, 306 000 Kronen — 344300 Mark.
Den Weg über das Fjeld legte ich zum größeren Theil zu Fuß zurück; denn hier befindet sich die Straße noch im Bau. Das Wetter war bereits während der Nacht klar geworden, und ein blauer Himmel spannte sich über das weite Fjeld, das nun einen ganz andern Eindruck machte, als am Tage zuvor. In großen Massen lag der Schnee, so daß die Blendung empfunden wurde; aber auch die Aehnlichkeit mit echtem Hochgebirge wurde dadurch vergrößert; und als ich mein kleines Packpferd graziös über einen Firnhang schreiten ließ, erwachten in mir Erinnerungen an die Andes; und wiederum, nachdem längs großer, eisbedeckter Seen die Paßhöhe, die plateauförmige Wasserscheide überschritten worden war, und der Blick sich in den blauen